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0054 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.1
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.1 / Page 54 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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des Mittelalters holte die Anregung zu seinen ornamentalen Schöpfungen größtenteils aus der Baukunst. Daher herrschen hier die Zierformen plastischer Abkunft, die der Umwand: lung in reines Flachornament und in die der Weberei notwendige Musterung ohne Ende widerstreben. Der romanische und gotische Formenschatz , einer plastisch : tektonischen Empfindungsweise entsprungen, konnte der Seidenweberei nicht genug bieten, um sie dem Einfluß des Flachmuster schaffenden Orients zu entziehen. In Byzanz, Spanien und Italien war die Seidenweberei in enger Berührung und im Wettbewerb mit dem Osten aufgewacht sen. Der Entwicklungsverlauf und die Handelsinteressen wiesen das Seidengewerbe darauf hin, im Orient die künstlerische Befruchtung zu suchen, die das Abendland ihm versagte. Daraus ergab sich bis in die gotische Zeit hinein ein dem ganzen Seidengebiet diesseits und jenseits des Mittelmeeres gemeinsamer Formenschatz, eine Verwandtschaft in den Muster: motiven, welche die Scheidung der europäischen von den orientalischen Erzeugnissen außer: ordentlich erschwert hat. Einer flüchtigen Betrachtung konnte der europäische Seidenstil von-1 Zusammenhang mit der abendländischen Kunstentwicklung im Mittelalter fast losget löst erscheinen. Es bedarf einer peinlich genauen Musterprüfung bis in alle Einzelheiten, um die durch die orientalische Abkunft der Hauptmotive verschleierten Spuren europät ischen Geistes aufzufinden.

Angesichts der Bewunderung, die das Mittelalter den Seidenstoffen entgegenbrachte und der unendlichen Fülle ornamentaler Bildungen, die sie dem Abendland zutrugen, sollte man einen starken Niederschlag ihrer Ornamentik in allen anderen Kunstgattungen erwar: ten, die in der Fläche arbeiten. Schon im 5. Jahrhundert war die Verwendung seidener Gewebe in der christlichen Kirche üblich, zunächst nicht für die liturgischen Gewänder, sondern für die festliche Ausstattung des Gotteshauses. Die ausführlichen Berichte des Liber pontificalis über die Textilschenkungen der Päpste des B. und 9. Jahrhunderts geben eine Vorstellung von den Massen ganzseidener oder mit Seidenstücken besetzter Stoffe, deren damals die römischen Kirchen für die Bekleidung der Altäre und I Ieiligengräber, für die Wandbekleidung im Chor und für die Vorhänge zwischen den Säulen des Kirchenschiffes und der Altarciborien bedurften. Dem Beispiel Roms folgten die Kirchen allerwärts nach ihren Mitteln. An der eindrucksvollsten und feierlichsten Schaustellung hat es also den Seidengeweben von früh auf nicht gefehlt. In der Tat sind Entlehnungen von Seidenmustern in der Buch: und Wandmalerei, in der Hintergrundverzierung von Glasgemälden, in vor: gotischen Stickereien und Wirkteppichen nicht selten nachzuweisen. Am häufigsten finden sie sich in Mosaikfußböden und namentlich in romanischen und frühgotischen Fußböden aus Tonfliesen, weil die letzteren gleich der Weberei aus technischen Gründen auf wieder: kehrende Rapportrnuster angewiesen waren. Dennoch ist es zu einer dauernden und durch: greifenden Beeinflussung der europäischen Flächenkünste durch die Seidenweberei nie get kommen, weil auch hier die tektonische Empfindung des Abendlands hemmend im Weg stand.

Von der Mitte des 14. Jahrhunderts an mehren sich in der Tafelmalerei die deutlichen Darstellungen gemusterter Stoffe, erst in Italien, dann auch in Deutschland und den Nieder: landen, wo der spätgotische Realismus die Stoffmalerei bis zur täuschenden Wiedergabe der Textur ausbildet. Es kommt zwar vor, daß gelegentlich ein alter Stoff in einer Malerwerk: statt als Modell benutzt wurde; als Regel ist aber doch die Darstellung gleichzeitiger Muster anzunehmen. Damit ist wenigstens für das späte Mittelalter noch ein ausgiebiges und zu, verlässiges Hilfsmittel der Textilkunde gewonnen.

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