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0243 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.1
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.1 / Page 243 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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fall die Gründe betonen, die für Sizilien sprechen, aber immer mit dem Vorbehalt, daß auch Spanien in Frage kommt.

Sizilien.

Früher erschien kaum etwas so sicher und selbstverständlich in der Seidengeschichte, als der außerordentlich große Anteil Siziliens an den vorhandenen Geweben des Mittel; alters. Von Franz Bock an hat man ganz allgemein den Werkstätten von Palermo eine Menge von Geweben sehr verschiedener Art mit freigebiger Hand zugewiesen, ohne eine Begründung zu versuchen'). Die Lage der Insel zwischen dem islamischen Afrika und dem christlichen Italien und ihre Geschichte schienen die Ansicht von einer merkwürdigen Man: nigfaltigkeit der textilen Erzeugnisse ausreichend zu rechtfertigen. Von der Zeit Justinians bis ins 9. Jahrh. blieb Sizilien ein Teil des byzantinischen Reiches und die dreihundert, jährige rhomäische Verwaltung hatte die Stellung des Griechentums im Lande sicherlich gehoben. Dann begannen von Nordafrika aus als neue Karthager die Araber sich einzu, nisten; seit dem Jahr 902 war die ganze Insel in ihren Händen, in loser Abhängigkeit von den Fatimiden. Ihre Herrschaft, durch die üblichen arabischen Stammeskämpfe im Innern erschüttert, wurde in der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. von den Normannen gebrochen, denen Robert Guiscard schon ein ansehnliches Reich in Apulien geschaffen hatte. Im Jahr 1130 vereinigte Roger II (f 1154) Sizilien mit den süditalienischen Besitzungen der Normannen zu einem einheitlichen Königreich. Das hundertjährige Regiment der normannischen Ritter hat der sarazenischen Bevölkerung Siziliens keinen Abbruch getan; Kreuz und Halbmond gediehen friedlich nebeneinander und in den Bauten Rogers und seiner Nachfolger Wil. helms I (1154-1166) und Wilhelms II (1166-1189) vereinigen sich byzantinische und islamische Formen. Arabische Tracht und Sitten übten auf die Christen Siziliens ihre Wir, kung ; in Palermo bestand eine königliche Anstalt zur Pflege der Textilkunst in der Art der arabischen Tirazwerkstätten und wie Mohammed ibn Djobair aus Valencia berichtet, fehlte es dem christlichen Königshof zur Zeit Wilhelms II nicht an einem Harem und Eu. nuchen. Die Rassenmischung des Volkes bringt eine dreisprachige Inschrift Rogers II am Königspalast zu Palermo, griechisch, arabisch und lateinisch, zum Ausdruck. Im Kampf mit dem letzten Normannenfürsten Tancred setzte der Staufer Heinrich VI seine Ansprüche auf die Krone Siziliens im Jahr 1194 durch. Die bewegte Zeit des schwäbischen Kaiserhauses brachte dem arabischen Element der Insel einen starken Verlust durch die von Friedrich II durchgeführte Verpflanzung der Sarazenen nach Luceria bei Capua, ein Ereignis, das viel. leicht der Ausbreitung des Seidengewerbes auf dem italienischen Festland dienlich gewesen ist. Nach dem Untergang der Hohenstaufen erhielt Sizilien eine französische Besatzung durch Karl von Anjou, der indes schon 1282 die sizilianische Vesper ein schnelles Ende bereitete. Von da ab blieb die Insel dem Haus Aragon verbunden.

Ober den Spielraum, den das Völkergemisch und die wechselvollen Schicksale Sizi. liens gewähren, sind die willkürlichen Zuschreibungen von Seidengeweben doch allzu weit hinausgegangen. Sie umfaßten mesopotamische Stoffe (s. T. 36 u. 38), dann die chinesischen Meßgewänder des 14. Jahrhunderts in Regensburg (s. T. 111), schließlich einen großen Teil der norditalienischen Gewebe des 14. und 15. Jahrhunderts. Und das Alles wurde in das Normannenjahrhundert hineingepreßt2). Um wieder festen Boden zu gewinnen, ist es nötig, vorerst die geschichtlichen Nachrichten über das Seidengewerbe in Sizilien zusammenzu, stellen.

  1. Auf diesem Standpunkt steht noch eine im Jahr 1905 erschienene Arbeit Kendricks im Magazine of fine Arts, London „The woven fabrics of Sicily".

  2. Vgl. Brinckmann, Führer durch das Hamburger Kunstgewerbemuseum 1894 S. 22. Hier wird Sizilien „der Hauptsitz der Seidenindustrie im 9.-12. Jahrhundert" genannt und den sizilianer Webern der frühgotische Seidenstil zugeschoben.

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