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0036 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 36 (Grayscale High Resolution Image)

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doi: 10.20676/00000240
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Aber man darf den Stil des Gewebes nicht bloß nach dem augenfälligen Hauptmotiv beurteilen, sondern muß ebenso die nicht entlehnten und in diesem Fall von „sassanidi: schem Charakter" völlig freien Ornamente beachten. Auch die technische Beschaffenheit ist nicht unwesentlich. Nach dem hier durch die Denkmäler dargestellten Entwicklungs: gang der byzantinischen Weberei ist die Entstehung des Aachener Palliums, das als tech, nische Leistung den Siegburger Löwenstoff hoch überragt, während des künstlerischen Tiefstandes im B. Jahrhundert so gut wie ausgeschlossen. Was jene Zeit beanspruchte und vermochte, zeigt die primitive Ornamentik des Greifenstoffes auf Tafel 37b Abb. 213. Die gut gewebten, dem Aachener Pallium qualitativ ähnlichen Byzantinerstoffe mit iranischen Tieren stammen aus dem 10. Jahrhundert, und der Stoff mit den drei persischen Tieren Tafel 61 Abb. 237, dessen Elephanten dem Aachener Muster offenbar stilverwandt sind, kann frühestens der Zeit ums Jahr 1000 zugeschrieben werden. Entscheidend ist die Zeichnung der Rosetten des Karlstoffes und der Palmetten in den Kreisbändern. Sie gehen im allgemeinen mit den Mosaiken der Sophienkirche von 1037 in Kiew zusammen') und im einzelnen be, rühren sie sich so vielfach mit der nächstfolgenden Gruppe griechischer Seidenstoffe des 11. Jahrhunderts, daß der Karlstoff unmöglich über die Mitte des 10. Jahrhunderts zurück: datiert werden kann. Es genügt festzustellen, daß die Kreisbänder genau auf dem Siviard: stoff in Sens (vgl. Abb. 244) wiederkehren, der seinerseits dem Grabtuch des Grafen Liu, tiger (f 1074) in Eichstädt gleichzeitig ist (vgl. Tafel 71, 72). Nach dem Jahre 1000 ist das Grab des Frankenkaisers nicht wieder geöffnet worden, bis im Anschluß an seine Selig: sprechung 1165 die Gebeine gehoben und in dem 1215 vollendeten Reliquienschrein ge: borgen wurden. Diese Zeit kann für den Elephantenstoff nicht mehr in Betracht kommen; es ist demnach ziemlich sicher, daß er von Kaiser Otto III gestiftet worden ist.

Im 11. Jahrhundert beginnt die selbständige Erfindung der griechischen Musterzeichner, der wir die Palmettenmuster der Willigisgruppe verdanken, sich auch in den Tierstoffen wieder kräftiger zu regen. Wenn nun das Bestiarium ausgesprochen sassanidischer Tradition in den Hintergrund tritt, so hängt das sicherlich damit zusammen, daß eben damals in Persien selbst die Umbildung der alten Muster im islamitischen Sinn einsetzte. Doch ver: schwinden in Byzanz weder die Stoffe mit persischen Tieren ganz aus dem Gebrauch, noch wird im weiteren Verlauf die Anlehnung an orientalische Muster vermieden, wie ira: nische, irakenische und seldschukische Erzeugnisse sie darboten. Auch während des 11. und 12. Jahrhunderts wird der byzantinische Geschmack in der Regel durch die Farben: wahl und das ornamentale Beiwerk deutlicher zum Ausdruck gebracht, als durch die Tier: motive selbst.

Eine zeitlich gesicherte Arbeit aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts ist die Kasel des heiligen Bernward von Hildesheim (f 1022), die 1194 bei der Translation dem Grab ent: nommen und seither als Reliquie verehrt wurde (Tafel 70 Abb.' 243). Die technische Beschaffenheit würde allein schon genügen, die byzantinische Arbeit zu beweisen, denn der einfarbig gelbe Stoff zeigt die den Willigiskaseln eigentümliche Atlasbindung mit ver: tiefter Linienzeichnung. Die Blätter des Baumes zwischen den Vogelpaaren in den Kreisen gleichen den Granatzweigen des bezeichneten Siegburger Löwenpalliums (s. Tafel 64).

Wenig jünger ist der goldgelbe Seidendamast im Stift S. Waldburg zu Eichstädt (Ta, fel 71, 72), gefunden im Grab des 1074 verstorbenen Grafen Liutiger von Graisbach, der das Kloster von neuem begründet und ausgestattet hatte. Es ist ein ansehnliches Stück, 188 cm zu 116 cm groß und gut erhalten, aber stümperhaft gewebt. Die Kreise von 40 bis 50 cm Durchmesser sind in die Breite verzogen und als Musterung zwischen den Perl: schnureinfassungen kann man die radial gestellten Herzblüten des Aachener Karlstoffes

') Diel, Manuel fig. 234.

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