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0090 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 90 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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kommen identisch, daß alles aus einer Werkstatt herrühren muß. Es ist ohne weiteres er: sichtlich, daß die Stoffe nicht im 12. Jahrhundert entstanden sein können; die Zuweisung an den heiligen Leopold ist nur ein Beispiel mehr für den weitverbreiteten Brauch, sehr alte Gewebe oder Meßgewänder unbekannter Herkunft auf den Ortspatron oder Kirchenstifter zurückzuführen. Der vorgeschrittene Naturalismus der Weinblätter, der Hähne und be, sonders der höchst lebendig aufgefaßten Hasen weist vielmehr deutlich auf die Frühgotik des 13. Jahrhunderts hin. Demnach kann nur abendländische Arbeit in Frage kommen; im ganzen italienischen Denkmälerbestand ist jedoch gar nichts Ähnliches zu finden. Nicht allein die auffallend magere, offene, streumusterartige Zeichnung, sondern auch die ganz eigentümlich gerippte Bindung der Goldmuster ist vollkommen unitalienisch. Dieses nega: tive Ergebnis würde zur Zuweisung an Paris noch nicht genügen, obwohl schon der Naturalismus an einen der Wiege der Gotik nahen Betriebsort denken läßt ; auch die für Frankreich deutbaren Motive der Fische und Lilien sind keine ausreichende Stütze. Beweis: kräftig aber ist die Wiederkehr verwandter Muster auf einem zweifellos französischen Kunst: werk vom Ausgang des 13. Jahrhunderts. Auf der Elfenbeingruppe der Marienkrönung im Louvre, die dem pariser Kunstkreis angehört,') ist von der ursprünglichen Goldmusterung der Gewänder noch so viel erhalten, daß man auf dem Mantel die um heraldische Lilien ins Kreuz gestellten Fische mit den überzähligen Flossen, auf der Brust die langgestielten dreilappigen Weinblätter deutlich erkennen kann (Abb. 302). Es ist kein Zweifel, daß dem Bemaler der Gruppe Stoffe der fraglichen Gattung als Modell vorgelegen haben. Damit ist nicht nur eine zuverlässige Datierung der Gewebe, sondern auch im Zusammenhang mit ihrer stilistischen Sonderstellung und der urkundlichen Nachricht über die pariser Seiden: weberzunft ein stichhaltiges Herkunftszeugnis gewonnen.

Bei Regensburg liegt die Sache umgekehrt. Hier sind die Schriftquellen weniger belang: reich, die Erzeugnisse dagegen in großer Zahl und zumeist in Deutschland erhalten. Wenn im 12. Jahrhundert der Abt Peter von Cluny seinen Ordensmitgliedern verbietet, Scharlach: stoffe, Barracanos vel pretiosos burellos, qui Ratisponi, hoc est apud Rainesbors fiunt2) zu benutzen, so sind damit farbige Wollstoffe gemeint. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts jedoch rühmt Wolfram von Eschenbach bereits die kostbaren Zendelgewebe Regensburgs, also sicherlich Seidenstoffe. Das ist sehr wenig, aber im Zusammenhang mit den erhaltenen Stoffen doch nicht wertlos.

Die äußeren Bedingungen für einen Ableger der italienischen Seidenweberei waren in Regensburg günstig. Obschon keine Kaiserstadt mehr wie unter Arnulf und auch nicht mehr der Herd des süddeutschen Kunstlebens, wie ums Jahr 1000, war Regensburg im 13. Jahrhundert doch der mächtige und gewerbreiche Vorort des Donauhandels, die erste deutsche Stadt, die mit Venedig engere Handelsbeziehungen unterhielt. Frühzeitig schon hatten venezianer Kaufleute in Regensburg sich niedergelassen, und die heutige Wahlen: straße war im Mittelalter die Walchengasse „Inter Latinos", der Sitz der Welschen. Wie eng die regensburger Stoffe mit Italien zusammenhängen , werden insbesondere die Tiermuster zeigen.

Als Grundlage für die Ortsbestimmung der ganzen Gruppe muß ein abnormes Web: stück dienen, das kein Rapportmuster, sondern ein abgepaßtes Bild großen Maßstabes auf. weist. Vor ungefähr 50 Jahren fand sich in der bischöflichen Schloßkapelle zu Wörth bei Regensburg ein Gewebe von 2,50 m Breite und 1 m Höhe, auf dem die Passionsgruppe, links davon S. Peter und halb knieend der Stifter Bischof Heinrich dargestellt sind. Von der rechten Seite ist nur S. Augustin erhalten; der Apostel Paulus, ursprünglich das Gegen:

  1. Molinier Ivoires T. 15.

  2. Michel II S. 35.

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