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0104 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 104 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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pseudoarabische Schrift erscheint zumeist auf fliegenden, an den Enden eingerollten Bändern, also in einer Form, die der Gotik sehr geläufig, der ganzen islamischen Kunst jedoch fremd geblieben ist (vgl. T. 124 b, 161a, 165, 171c, 194, 199 b ; Abb. 409, 438, 444, 447, 466). Auch kommt die Pseudoschrift zuweilen in Verbindung mit gänzlich unislamischen Mustern, z. B. mit der Verkündigung Mariä, vor. Irgendwelchen Wert als Ursprungszeugnis des Musters darf man der pseudoarabischen Schrift schon darum nicht beilegen, weil sie während des 14. und 15. Jahrhunderts in der italienischen Kunst ein allgemein verbreitetes landläu: figes Ornament gewesen ist, das Maler und Bildhauer ohne jeden unmittelbaren Zusammen: hang mit muslimischen Vorbildern verwendeten, lediglich in der Absicht, den biblischen Gestalten etwas orientalisches Lokalkolorit zu verleihen. Es gibt ungezählte Bilder von toskanischen, umbrischen, venezianischen Meistern, wo die sonst ungemusterten Gewänder mit Säumen aus mehr oder minder gut gelungener pseudoarabischer Schrift verziert sind. Im 15. Jahrhundert hat sich auch die Plastik dieser Mode nicht entzogen : der Bronzedavid von Verrocchio und eine dem Donatello zugeschriebene Büste im Bargello tragen solche Schriftzüge an den Gewandsäumen und Filarete hat sie reichlich auf den Erztüren der Peters: kirche angebracht, auch als Pilasterfüllung auf einer kleinen Tabernakeltür im Wiener Hof. museum. Von einer Nachbildung islamischer Gewebe kann vollends keine Rede mehr sein, wenn die pseudoarabische Schrift als Zierat im Heiligenschein der Mutter Gottes auftritt, wie es auf Bildern von Gentile da Fabriano, Mantegna und Jacopo Bellini zu sehen ist (An: betung der Könige von Gentile in der Akademie Florenz, dasselbe Motiv von Mantegna und das Madonnenbild von Jac. Bellini in den Uffizien). In der Weberei sind die pseudo, arabischen Schriftornamente von wirklich arabischen Inschriften in der Regel leicht zu unterscheiden, und sie bilden daher ein augenfälliges Merkmal italienischer Arbeit; einen Hinweis auf ein unmittelbares sarazenisches Vorbild enthalten sie jedoch nur in den seltensten Fällen.

Die richtige Erkenntnis der italienischen Entstehung des freien Seidenstils ist wohl auch dadurch hintangehalten worden, daß die Gotik in den Gewebemustern nicht so sich äußert, wie in anderen ornamentalen Künsten des Abendlandes. Sucht man die Gotik des Weber: ornaments im Maßwerk und Spitzbogen, im Blatt: und Rankenwerk des Hausteins, der Metalle und des Holzes, so ist die Ausbeute in der Tat gering, so dürftig, daß das Vor: handensein frühgotischer Muster überhaupt bestritten werden konnte.') Die Gruppe Lucca: nischer Gewebe mit Weinranken (s. T. 153, 154), darunter ein paar Stücke mit gotischen Radfenstern, ist so ziemlich alles, was hier anzuführen wäre. Das ist nicht weiter verwundert lich. Denn der in der Baukunst und den von ihr abhängigen plastisch empfindenden Künsten ausgebildete Formenschatz der nördlichen Gotik ist einerseits in Italien nie so völlig heimisch geworden wie in den Ländern nördlich der Alpen, und andrerseits hatte er der auf rapport tierendes Flachornament angewiesenen Weberei wenig zu bieten. Das wiederholt sich beim Sieg der Frührenaissance im 15. Jahrhundert : auch ihr Ornament ist ursprünglich plastisch und tektonisch, für bestimmt umgrenzte Flächen geschaffen, und es widerstrebt deshalb der Umwandlung in reine Flächenmuster ohne Ende. Daher kommt die Frührenaissance — von einer florentinischen Stoffgruppe abgesehen — in der Weberei nicht durch die neuen Ornamente, durch ihre antikisierenden Ranken und Grottesken zum Ausdruck, sondern bloß darin, daß sie den vorhandenen, um 1400 noch vorwiegend unsymmetrischen Textil: motiven das ruhige Gleichgewicht der Symmetrie wiedergibt.

Trotz des Ausfalles der normalgotischen Bauornamente — in weitestem Sinne get nommen — sind die Spuren des abendländischen Zeitstils in den Trecentomustern doch

') Dreger, Entwicklung der Weberei und Stickerei, S. 154: „Eine der eigentümlichsten Erscheinungen der Textilgeschichte ist der Umstand, daß es keinen eigentlich früh. oder mittelgotischen Stoff gibt".

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