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0108 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 108 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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nach Europa. Hier war mit der Gotik das neue Naturgefühl erwacht und das Streben nach freier Gestaltung des Flachornaments schon am Werke. Daher trafen erst jetzt die ost, asiatischen Muster auf einen offenen Sinn, empfänglich für die fremdartigen Formen und bereit, sie dem europäischen Geschmack gemäß zu verarbeiten.

Die Denkmälerreihe eröffnet als das erste genau datierte Stück das Grabgewand Papst Benedikts XI , der 1304 in Perugia starb. Er wurde in einer Dalmatik aus chinesischem Goldstoff beigesetzt; seit einer Öffnung des Grabes im 19. Jahrhundert ist der wohlerhaltene Ornat in S. Domenico zu sehen. Die Dalmatik besteht — abgesehen von den luccanischen Besätzen, dem ersten datierten Denkmal des freien Stils — aus schneeweißer Seide mit einem Muster aus einseitig vergoldeten schmalen Lederstreifchen, die flach ohne Drehung ein= geschossen sind. Dieses Riemengold ist im Verein mit dem Stil der Muster das beste Kenn, zeichen ostasiatischer Gewebe; fast alle chinesischen Brokate des Mittelalters sind mit solchen platten Lederstreifen gewebt; erst in der Neuzeit treten die gleichfalls ungedrehten Streif chen aus Goldpapier an ihre Stelle. Von da an galten die ostasiatischen Goldstoffe in Europa als minderwertig. Stoffe mit Riemengold, die ihrem Muster nach nicht in China gewebt sein könnten, sind nicht bekannt. Es ist also anzunehmen, daß der platte Ledergoldfaden niemals außerhalb Ostasiens heimisch geworden ist. Das Muster der Benediktdalmatik ist unerheblich ; dicht geringelte Ranken mit Lotusblüten so kleinen Maßstabes, daß die Zeich, nung kaum zu erkennen ist. Der Typus dieses Rankengeschlängels mit Lotusblüten wird besser durch einen zwar jüngeren, aber stilgleichen Goldstoff in Berlin und Nürnberg (Abb. 321) veranschaulicht.

Viel bedeutungsvoller für Italien und mehr noch für Persien wurden die strenger ge, zeichneten chinesischen Rankenmuster großen Maßstabs. In dieser Gruppe gehen symme, trische und einseitige Muster nebeneinander her. Bei den ersteren bilden die mit allerlei Blättern, Blüten und Schnörkeln besetzten Stengel spitzovale Felder, die in der Regel Lotus, bluten oder palmettenartige Weiterbildungen dieses Hauptmotivs des ostasiatischen und weiterhin des iranischen Pflanzenornaments umschließen (Tafel 105a). Es gibt von der Lotusblüte nicht nur in der Weberei, sondern auch in der chinesischen Porzellanmalerei, im Zellenschmelz unzählige Spielarten. Bei größeren Bildungen wird ein oben zugespitztes Mittelfeld, darin die einfache Lotusblüte oder chinesische Schriftzeichen oder Tiere, von einem Kranz bald schlichter, bald gezackter, bald gekrümmter Blätter umzogen (Abb. 322). Die ansehnlichsten Denkmäler dieser Gattung sind ein Chormantel in Danzig') und ein anderer aus dem Lausanner Dom im Berner Museum (Tafel 106, Abb. 323). Es scheint, daß China die Anregung zu den symmetrischen Rankenmustern durch jene byzantinischen Atlasstoffe der Willigisgruppe aus dem 10.-11. Jahrhundert empfangen hat (s. Abb. 231, T. 58, 59), die bereits Elemente der Lotuspalmette, namentlich den einrahmenden Blattkranz ent, halten. Um 1300 war dieser griechische Prototyp im Abendland vergessen und die erneute Aufnahme des spitzovalen Rankenschemas wird im Westen unzweifelhaft durch chinesische Vorbilder hervorgerufen. Das wird durch asiatische Elemente in den spanischen und italie, nischen Stoffen dieses Typus später zu belegen sein. Italienische Nach, und Umbildungen der spitzoval geordneten Lotusmuster sind auf toskanischen und venezianischen Trecento, bildern nicht selten und auch im Original mit mehreren Kaseln in Danzig und Braun, schweig vertreten. Größere Bedeutung gewann dieser ostasiatische Typus dadurch, daß die Spätgotik nach vielen Zwischenformen daraus ihr Granatapfelmuster abgeleitet hat, das wie bekannt das beherrschende Flachornament der gesamten spätgotischen Kunst geworden ist. Statt der Lotuspalmetten haben die Chinesen in die umrankten Spitzovalfelder auch symmetrische Tierpaare eingefügt, Khilins, Drachen (Abb. 324) oder jene Fonghoang ge, nannten Vögel, die durch ihr flatterndes Gefieder jeder gegebenen Fläche sich anpassen

') Das Muster abgebildet bei Hinz, Die Schatzkammer der Marienkirche zu Danzig T. 46 nr. 1.

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