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0224 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 224 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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Der Stoff mit den Schwalben , die zwischen Eichbaumkronen fliegend nach Schmettert lingen haschen, um sie ihren im Neste schreienden Jungen zuzutragen, ist eine der reizendsten Schöpfungen des frühgotischen Naturalismus (Abb. 489); vielleicht auf Grund einer persischen Anregung entstanden, denn das Motiv des nach Schmetterlingen schnappenden Vogels ist in der Buchmalerei und auf jüngeren Geweben Persiens nach: zuweisen. Die Zusammenstellung von heraldischen Adlern in gotischen Vierpässen mit chinesierenden Basilisken (T. 196 b) ist eine ganz vereinzelte Erscheinung. Leider ist nichts darüber überliefert, wo der mit den Samtbrokaten des 15. Jahrhunderts allgemein werdende Metallfaden aus vergoldetem Silberlahn zuerst aufkam. Es fehlen namentlich brauchbare Nachrichten über die Beschaffenheit der Stoffe der Stadt Genua, die doch während des Trecento und darüber hinaus nächst Lucca und Venedig der namhafteste Seidenort Italiens gewesen zu sein scheint. Jedenfalls entstammen die beiden Brokate T. 196 einem Betrieb, der sich auch künstlerich neben Lucca und Venedig sehen lassen konnte.

4. Die Deutung der italienischen Webemuster.

Seit die alten Seidenstoffe wieder gesammelt worden sind, haben die spätmittelaltert lichen Tierbilder mit ihrem mannigfaltigen Beiwerk immer von neuem die Frage nach ihrer gegenständlichen Bedeutung wachgerufen. Obgleich die Stoffe ebenso für die weltliche Tracht und profane Dekoration, wie für den Gottesdienst geschaffen waren, hat doch der Umstand, daß sie nur als kirchliche Paramente uns überkommen sind, von vornherein die Gedanken der Mustererklärer auf die christliche Symbolik hingelenkt. Zuerst hatte K. Bötticher') die Trecentomuster und ihre Ausläufer mit dem verfolgenden und gejagten Wild als bildliche Erläuterungen der Psalmen angesehen, eine Auffassung, die noch in einigen Be, schreibungen unserer Tafeln nachklingt (vgl. T. 189 und 196). Dann ist die religiöse Deutung vornehmlich durch F. Bock genährt worden, indem er, obwohl selbst ablehnend, als die Meinung anderer tiefsinnige Erklärungen vorschlug. So sollte das gotische Zaungehege „den Garten der Kirche darstellen, wo der von inneren und äußeren Feinden bedrängte Christ, durch das aufgescheuchte Reh versinnbildlicht, Schutz sucht und findet". Die Tierbilder im allgemeinen sollten den Kampf zwischen gut und böse, zwischen niedriger Sinnlichkeit und höherer Vernunft und dergleichen ausdrücken. Für Bock waren dabei praktische Er, wägungen maßgebend ; denn seiner Absicht, die alten Webemuster neu belebt in die kirch, liche Kunst des 19. Jahrhunderts einzuführen, wäre ein religiöser Inhalt der unkirchlich aus: sehenden Tierbilder sehr dienlich gewesen. Solchen Vorschlägen stellte Karabacek den richtigen Gedanken entgegen, daß die Tiermuster einfache Jagdszenen ohne einen tieferen mystischen Untergrund darstellen.2) Was er freilich an besonderen Mustererklärungen im Sinne einer islamischen Symbolik beibrachte, erweist sich als unhaltbar, weil eben die frag: lichen Muster gar nicht sarazenischen Ursprungs waren, sondern italienisch mit chinesischem Einschlag.

Die christlich,religiöse Deutung der Trecentomuster steht nicht auf festeren Füßen als die islamische. Die ganze Entwicklung des Seidenstils von 1300-1500 lehrt, daß nicht das Bedürfnis nach innerem , religiösem oder geistigem Gehalt, sondern künstlerisch formale Ursachen die Musterbildung bestimmten. Wir haben gesehen, wie Schritt für Schritt die in, haltlich bedeutungslosen romanischen Tierformen vereint mit den neuen chinesischen Ele, menten belebt, in gotischem Sinn naturalisiert, gemodelt und weitergebildet wurden, wie dann der Realismus die losen Motive zu den landschaftlichen Mustern zusammenfaßte und

  1. Bock, Liturg. Gew. I, S. 57; Hampe Gewebekatalog S. 75.

  2. Susandschird S. 137-149.

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