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0237 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 237 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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hat. Da aber nichts davon aus der Zeit vor den Sefiden erhalten ist, kann man über das Verhältnis persischer Samtmuster zu den italienischen unmöglich urteilen. Die ältesten italienischen Samtstoffe zeigen tatsächlich keine Spuren islamischen Einflusses. Zuerst geht in den Tiermustern wie Abb. 494 und 496 die heimische Trecentoüberlieferung weiter, dann herrscht die Spätgotik. Der gewaltige Aufschwung der spätgotischen Samtweberei führt gegen Ende des 15. Jahrhunderts eine Wandlung in dem Verhältnis zum Orient herbei: Italien ist nicht mehr der nehmende, sondern der gebende Teil geworden. Bis nach Persien reichte der vorbildliche Einfluß der italienischen Gewebe wohl nicht, wenigstens ist er dort nicht nachzuweisen; in der Samtweberei des osmanischen Reiches macht er sich aber in der stärksten Weise bemerkbar. Es gibt eine Menge von Samt: und Seidenstoffen, welche italie: nische Musteranlage mit orientalischen Einzelheiten verbinden. Sie gelten vielfach als vene: zianische Arbeiten unter islamischem Einfluß,') sind aber leicht als osmanische Umbil; dungen italienischer Muster zu erkennen (vgl. Abb. 604, 605). Da diese Gewebe zum größten Teil schon ins 16. Jahrhundert fallen, können sie erst in dem die Neuzeit behandelnden Abschnitt vorgeführt werden.

Den Sammelnamen „Granatapfelmuster" hat erst das 19. Jahrhundert aufgebracht. Er trifft, wie es bei solchen Schlagworten häufig geht, nur einen Teil der spätgotischen Erzeugnisse. Denn einerseits gibt es, namentlich aus Venedig, eine große Menge spätgotischer Rankenstoffe, die gar keine granatähnlichen Formen enthalten (vgl. T. 216-220, Abb. 515-517), andrer; seits gleicht die stilisierte Frucht oder Blüte, die das Kernstück der eigentlichen Granat; muster bildet, öfter einer Distelblüte oder einer Artischocke als dem Granatapfel. Die alten Inventare, die natürlich für ein in unzähligen bald streng stilisierten, bald naturalistischen Spielarten auftretendes Motiv auch keinen allgemein zutreffenden Ausdruck hatten, nennen es am häufigsten nach altem Brauch Pinienzapfen, pomme de pin oder pomme kurzweg.

Ober die formale Abstammung der Granatmuster vom chinesischen Lotus kann kein Zweifel bestehen. Schon die große Ahnlichkeit der italienischen Granatformen mit den Blütenbildungen im persischen Rankenwerk der Sefidenteppiche und weiter im osmani: schen Fliesen; und Seidenornament zeugt für die gemeinsame Abkunft von dem ostasiati: schen Urmotiv. Die chinesische Lotusblüte in ihrer reicheren Gestalt enthält in dem oben zugespitzten Herzstück nebst umrahmendem Blattkranz (vgl. Abb. 322, T. 105a) oder in der fruchtartigen Schuppenmusterung des Kernstücks (vgl. Abb. 326) bereits wesentliche Ele: mente der spätgotischen Granatformen vorgebildet. An italienischen Obergangsformen ist in den Trecentomustern kein Mangel. Es genügt, zwei Beispiele herauszugreifen: Auf dem luccanischen Stoff Tafel 138a (Abb. 393) hält die innere Lotusblüte noch die chinesische Form fest, während der äußere Blattkranz bereits italianisiert jene radial gestellten Blüten aussendet, die später den voll entwickelten Granatmotiven selten fehlen (vgl. Abb. 504). Ferner bietet das venezianische Landschaftsmuster Tafel 188 (Abb. 480) in der nach oben gerichteten Baumkrone eine unverkennbare Vorform der spätgotischen Frucht.

Die unmittelbaren Vorläufer der Granatmuster waren unter den italienischen Trecento: arbeiten diejenigen Seidenstoffe, welche das chinesische oder sinopersische spitzovale Ran= kenschema mit Lotusblüten (vgl. T. 105a, Abb. 322, T. 122a) italianisierten, wobei das Tier: element bereits untergeordnet oder ganz beseitigt wird (Abb. 497; vgl. auch Abb. 409 und T. 145). Die Danziger Kasel Tafel 201 (Abb. 498), wahrscheinlich venezianer Arbeit um 1400, ist in den Einzelformen von der Spätgotik noch unberührt; das Muster als Ganzes jedoch mit den von der Lotusblüte ausstrahlenden Blättern und dem dichten Blütenbesatz der Stengel war offenbar die Grundlage für die zahlreichen Granatmuster von der Art der Damastkasel Tafel 202 (Abb. 499).

') Vgl. Collection Kelekian T. 44, 79, 80, 83, 86, 87, 91; Kumsch, Stoffmuster T. 1 und 151.

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