National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
Digital Archive of Toyo Bunko Rare Books

> > > >
Color New!IIIF Color HighRes Gray HighRes PDF   Japanese English
0298 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 298 (Color Image)

New!Citation Information

doi: 10.20676/00000240
Citation Format: Chicago | APA | Harvard | IEEE

OCR Text

 

Wir müssen noch einmal zur Renaissance zurückkehren, um das Aufkommen der kleingemusterten Seidenstoffe zu betrachten , die den besonderen Ansprüchen der Kleidung ihre Entstehung verdankten. Wenn auch die Herrentracht der Renaissance mit ihrer Vor: liebe für einfarbige und weiterhin für schwarze Stoffe keine großen Ansprüche mehr an die Musterzeichenkunst stellte, so hatte doch die weibliche Kleidung keineswegs auf reiche Prachtgewebe verzichtet. Aber je steifer und faltenloser unter der Führung der spanischen Mode gegen den Ausgang des 16. Jahrhunderts hin der Schnitt der Frauenkleider wurde, um so weniger waren die großen Muster am Platze, welche breite Flächen und großbeweg, ten Faltenwurf zu ihrer wirksamen Entfaltung brauchten. Sie konnten um so leichter aus der Tracht verschwinden, als für den reichsten Prunk höfischer Gewänder die Stickerei und die aufgenähten Besätze aus starren Gold; und Silberlitzen einsprangen, zu denen dann die Leinenspitzen sich noch als Helferin gesellten. Daher vollzieht sich gegen 1600 etwa in der Musterweberei die Scheidung zwischen Wandstoffen und Kleiderstoffen, wobei es freilich an Übergängen und Grenzüberschreitungen nicht gefehlt hat. Für Möbelbezüge, Vorhänge, Kirchengewänder waren Gewebe aus beiden Gebieten brauchbar und in der unaufdring, lichen Form einfarbiger Samte und Damaste haben sich große Rankenmuster auch in der Kleidung erhalten. In der Regel jedoch schrumpft der Maßstab der Kleidermuster so weit zusammen, daß sie mit den knapperen Formen der Zeittracht sich vertragen. Während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bleiben in den Kleiderstoffen, sofern diese nicht auf ge, webtes Ornament ganz verzichten, die Kleinmuster durchaus vorherrschend. Erst als über den weitausladenden Reifröcken die Seidenstoffe wiederum in breiten Flächen sich bauschen, beginnen auch die Muster an Schwung und Größe zuzunehmen, bis unter Ludwig XIV und weiterhin die Grenzen zwischen Kleiderstoffen und Dekorationsstoffen sich neuer: dings verwischen.

Mit der Verkleinerung der Muster geht eine zweite einschneidende Veränderung Hand in Hand, die Auflösung des bisher immer zusammenhängenden Rankenwerks in einzelne Bestandteile, der Zerfall in lose Streumuster. Auch hierbei sind Übergänge zu bemerken. Es gibt Massen von Spätrenaissancemustern mittleren und kleinen Maßstabs, die wie Ta, fel 278a noch ein ganz geschlossenes Ranken:, Rauten, oder Spitzovalnetz aufweisen;') ein fortgeschrittenes Stadium vertritt Tafel 278b: hier beginnt der Zusammenhang sich zu lösen, doch läßt die symmetrische Verteilung von je vier Blättern um eine Frucht noch die Grund, tage eines Granatschemas erkennen. Daraus ergeben sich in weiterer Zersetzung die reinen Streumuster aus lauter losen Einzelmotiven, die symmetrisch (T. 279b, T. 280b) oder un, symmetrisch (T. 280a, c, d, T. 281, 282, 283a, 284, 285, 263b) geordnet werden.

Der Normaltypus der unsymmetrischen Kleinmuster besteht aus geschwungenen Zweig, lein mit ziemlich naturfremd stilisierten Blüten, Blättern und Früchten, die in einer Reihe nach links, in der anderen nach rechts sich neigen (Abb. 573 und 574, T. 282b, 283a). Die Zweige werden oft in S,förmige Voluten (T. 281 a) oder gradlinige Stäbe (T. 281 b) umge, zeichnet. Manchmal bleiben bloß Voluten und Einzelblätter übrig (T. 282a und Abb. 575), oder eine Blüte wächst sich zum Hauptmotiv aus (T. 284 und T. 263b). Besonders phan, tastische Ausgestaltungen der Voluten hat die im späteren 17. Jahrhundert verwildernde Musterzeichnerei Spaniens zuwege gebracht (T. 285).

Die Zahl der Kleinmusterstoffe des 17. Jahrhunderts ist Legion, und man würde außer unseren Tafeln noch ein Dutzend Abbildungen brauchen, um alle wichtigen Typen vor, führen zu können. Sie verkörpern sich in verschiedenen Texturen, als Brokate, glatte Seiden, stoffe (vier Beispiele auf T. 280) und Samte. Am häufigsten und vorteilhaftesten gediehen

') Ein dem Samtstoff T. 278a ähnliches Muster findet sich um 1615 auf dem Doppelbildnis des Ma. lers Franz Snyders und seiner Frau in der Kasseler Galerie.

128