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0314 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 314 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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streifen und Federn ersetzt, sind zwar das be, liebteste Mittel , um die unsymmetrischen Hauptlinien auszudrücken und dem lockeren Beiwerk von Ranken und Blumensträußen

Halt und Zusammenhang zu geben, aber ein

A   unerläßlicher Bestandteil blieben sie nicht. Die
Freude am naturalistischen Blumenornament brachte schon vor 1750 Muster zuwege, die jedes nichtvegetabile Motiv ablehnen und lediglich aus den Ranken, Stengeln und Asten der Pflanzen das wellige Kurvenschema her, stellen (Abb. 592, T. 302 a, b, T. 303 b). Der Nelkenstoff T. 302a, eine typische Schöpfung dieser Richtung, läßt sich auf die Mitte des Jahrhunderts datieren, da er dem Kleid der Frau von Pompadour auf La Tours Pastellbild vom Jahre 1752 im Louvre verwandt ist.') Der Rankenstoff T. 303 b gehört mit seinen exoti, schen Phantasieblüten zu einer Mustergruppe, die dem Zeichner von Blumen und Rokoko, chinoiserien Jean Pillement nahe steht. Daß Pillement selbst für die Weberei Entwürfe ge, liefert, ist nicht erwiesen, aber wahrscheinlich, da er längere Zeit in Lyon gelebt hat.2)

Auf allen Rokokostoffen von T. 300 an sehen wir den Blumennaturalismus bereits in

voller Blüte; es wäre schwer, nach der Mitte des 18. Jahrhunderts noch ein französisches Seidenmuster mit wirklich flächenhaft stilisierten Pflanzenformen aufzutreiben.3) Sogar die seltenen Rokokosamte mit großer Musterung müssen diesem Zug der Zeit folgen, so wenig auch ihre Textur dafür sich eignen mochte. Die Abbildung 593 gibt einen einfarbigen Samt (Berliner Stoffsammlung) mit schwarzem Flormuster auf schwarzem Taftgrund, der trotz der Beschränktheit seiner Ausdrucksmittel die plastische Blumendarstellung mit Erfolg anstrebt.

Die Kunst, Blumensträuße und Pflanzen nicht bloß naturalistisch, sondern mit der

Illusion des Körperhaften und in einem der Natur nahekommenden Farbenreichtum im Seidengewebe darzustellen, ist die einschneidendste Neuerung der Rokokoweberei, die mehr als alle anderen Wandlungen den französischen Seidenstil der zweiten Hälfte des 18. Jahr: hunderts vom Spätbarock unterscheidet. Die Vorbedingung dieser Errungenschaft war eine außerordentliche Steigerung des technischen Könnens und vor allem die ausgiebigste An, wendung des Broschierens. Nur dadurch war es möglich, die Farbenmenge eines malerischen Blumenmusters im Gewebe unterzubringen. Für den Metallfaden blieb nur wenig Spiel, raum übrig; die Vorliebe für Brokate läßt allmählich nach, und es ist bezeichnend, daß die allerreichsten und kunstvollsten Tapetenstoffe, die Philippe de Lasalle für Fontainebleau und Trianon, für die Kaiserin Katharina von Rußland, für den spanischen und andere Höfe ge, schaffen hat, durchweg ohne Gold und Silber gewebt sind. Das Werk dieses Meisters, der gleich groß war als Zeichner wie als Weber (zu seinen technischen Erfindungen zählt be, zeichnenderweise eine Verbesserung des Broschierwebstuhls), bedeutet die höchste künst,

  1. Abgeb. Dreger T. 308.

  2. Zahlreiche Stoffe des Pillementstils sind abgeb. Kumsch T. 191-194.

  3. Der Seidenrips T. 303a mit flachstilisierten Rokokoranken steht damit nicht im Widerspruch, da er keine französische, sondern eine italienische und deshalb stilistisch rückständige Arbeit ist.

Abb. 590. Spätbarocker Seidenstoff, Frankreich um 1730.

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