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0490 Aus Siberien : vol.2
Aus Siberien : vol.2 / Page 490 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000224
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besuchen. Der Typus der hiesigen Juden hat sich vollständig rein erhalten, das bezeugen die langen, gekrümmten Nasen, die schmalen , bleichen Gesichter mit hervorstehenden Lippen, vielfach von edlem, feinem Schnitte. Frauen habe ich wenige gesehen, die Mädchen aber sind meist von bewunderungswürdiger Schönheit. Dass ihr ganzes Wesen noch mehr den Stempel der Unterwürfigkeit trägt als bei uns, ist bei den Verhältnissen, in denen sie bis jetzt zur Bevölkerung gestanden, nicht zu verwundern.. Auch die Sucht nach Gewinn und die Liebe zum Feilschen scheinen, soviel ich beobachten konnte, bei ihnen nicht weniger ausgeprägt zu sein, als bei ihren europäischen Glaubensgenossen; doch geben ihnen darin ihre mohammedanischen Mitbewohner nichts nach. Die Sprache, deren sich die Juden bedienen, ist ohne Ausnahme die persische, sobald sie untereinander sprechen ; doch verstehen Alle, selbst die kleinsten Kinder, das Tiirkische, und manche von ihnen haben in den wenigen Wochen, seit die Russen sich hier befinden, schon viele russische Wörter gelernt, so dass sie sich bereits über gewöhnliche Dinge russisch verständigen können.

Bei meinem Aufenthalte in der Judenstadt besuchte ich auch die Synagoge. Vor einem kleinen Häuschen machten wir Halt, gingen dann durch drei oder vier Höfe und gelangten endlich zu einem grossen Hofe, auf dem unter einem Vordache etwa 40 kleine Knaben sassen. In ihrer Mitte befand sich ein junger Mensch von etwa 20 Jahren mit einer Bibel und las mit lauter Stimme und singendem Tone die hebräische Urschrift, indem er taktmässig den Oberkörper vorwärts und rückwärts beugte. Von den Knaben sassen je drei mit untergeschlagenen Beinen um eine Bibel und sprachen im Chore die Worte des Lehrers nach, auch sie bewegten unaufhörlich den Oberkörper nach vorne. Man erklärte mir, dass hier nur gelesen würde, der Lehrer aber in keiner Weise den Sinn des Gelesenen erkläre. Nach einer Weile gingen wir weiter, passirten noch einen Hof und traten dann durch eine schmale Gasse zu einem kleinen, ganz zwischen hohen Gebäuden versteckten Häuschen, vor dem sich eine weite Gallerie befand. Auf der letzteren sassen auch etwa 40 bereits ältere Knaben von 10-16 Jahren, welche von einem alten Manne unterrichtet wurden; der sie der Reihe nach lesen liess und ihnen das Gelesene erklärte. Die Lesenden beugten gleichfalls stets den Oberkörper nach vorne. Ich liess