National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
Digital Archive of Toyo Bunko Rare Books

> > > >
Color New!IIIF Color HighRes Gray HighRes PDF   Japanese English
0511 Aus Siberien : vol.2
Aus Siberien : vol.2 / Page 511 (Color Image)

New!Citation Information

doi: 10.20676/00000224
Citation Format: Chicago | APA | Harvard | IEEE

OCR Text

 

— 469 —

Bei so bewandten Umständen lässt sich das unaufhaltsame

Vordringen der Fremdlinge leicht erklären. Was aber besonders zersetzend wirkt, ist, dass die Fremdlinge in der Sprache selbständig fortleben, wie solches auch bei den deutschen Aristokraten im vorigen Jahrhundert mit eingemischten französischen Brocken geschah. Hier aber nimmt das Sprachgemenge stets zu, da keine sprachreinigende Reaction möglich ist.

Während doch im Allgemeinen Niemand den Satz angreifen wird, dass geistige. Beschäftigung (Forschen und Lernen)

den Geist bildet und die Urtheilskraft stärkt, sehen wir hier leider das Gegentheil. Ein gesundes Urtheil und eine gewisse Geistesschärfe sind nur bei den ganz Ungebildeten zu finden. Die Sprache der Kirgisen ist fliessend und beredt; diese

sind witzig und beissend in Frage und Antwort, ja oft bewunderungswürdig gewandt, und jeder auch noch so ungebildete Kirgise beherrscht seine Sprache, wie wir nur etwas Aehnliches in Europa bei den Franzosen und Russen wahrnehmen können. Kirgisischen Erzählern ist eine frische und anmuthige Diction eigen. Der Kara-Kalpake, Turkmene und der ösbekische Landbewohner des Serafschanthales ist schon unbehülflicher als der ungebildete Nomade, aber die gebildeten Klassen der Städtebewohner sind schwerfällig in der Rede, unbeholfen im Ausdruck und über alle Begriffe langweilig in der Unterhaltung. Wie sollte es aber auch anders sein? Ian beschäftigt sich meist mit dem, was man aus sprachlichen Gründen nicht verstehen kann. Der Kirgise hört seine Märchen, Sagen und Lieder in seiner eigenen Sprache, er empfängt dadurch Eindrücke, die in ihm zurückbleiben und zur Nachahmung reizen. Der Ösbeke hört schon die einfachsten Erzählungen in einer Sprache, die er zum grössten Theile nicht versteht, und je tiefer er in die Wissenschaft eindringt, um so mehr hüllt sich die gelehrte Rede in ein unverständliches Gewand. Ian gewöhnt sich daran, aus dem Gelesenen (Gehörten) den Sinn herauszurathen und unverdautes Wortgeklingel nachzubeten und auswendig zu lernen. Dadurch wird natürlich nur eine Funktion des Geistes, das Gedächtnis, geübt, während die übrigen Geisteskräfte erlahmen. 15 — 20 Jahre hat der Schüler stets mit den sprachlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, deren Ueberwindung das höchste Streben des Gelehrten ist. Wie wenige der Glücklichen giebt es aber, denen dies gelungen ist.