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Meine Tibetreise : vol.2 |
sichtig seien, und hielt sich, um sich ja deutlich auszudrücken, die Hand über seine Augen. Da die Mohammedaner aber auch diese Bewegung mißverstanden, streichen sich noch heute die Hui hui beim Beten mit der Hand über das Gesicht 1).
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Über eine Woche zog ich in dem Tale abwärts. Bald zwängte sich das
Flachen in einer engen und schmalen Felsklamm zwischen den Sandstein-
bergen hindurch, bald zog es breit eine kleine Strecke vor einer der vielen
parallelen, immer WNW-0 SO streichenden Bergketten entlang weiter. Je
tiefer ich kam, desto höher und in desto schöneren Formen erhoben sich tief
zerlegte Gipfel aus unserem Tale, desto hübscher und menschenwürdiger wurde
das unbewohnte Land um uns her. Die Tage verliefen ungemein regelmäßig.
Jeden Morgen gab es trotz der Augustwärme eine dünne Eisschichte auf den
Tümpeln und Wasserlachen, und um unser Lager am Bache lag kräftiger Reif,
der sonst in dem trockenen Höhenklima Tibets etwas recht Seltenes ist. Strahlend
klar und windstill fängt der früheste Morgen an. Doch kaum wird es hell, da
regt sich schon ein Lüftchen. Mit zunehmendem West kommen erst wie schüch-
tern einzelne wild zerzauste Federwolken, plötzlich — noch vor neun Uhr
morgens — drückt sich über einen Berggipfel eine kleine Haufenwolke. Rasch
folgen der einen andere nach. Schwarz und schwärzer wird der Himmel. Mit
einem Male beginnt sich die stagnierende Wolkenmasse über uns gegen Westen
zu schieben. Unter einer dünnen, lichten Zirrusdecke, die ganz hoch oben aus
Westen daherjagt, ist jetzt mit einem Schlage ein wolkenreicher Luftstrom
aus Südost zu erkennen; es herrscht in Berggipfelhöhe der sommerliche Südost-
monsun Ostasiens. Oft löst dann die zwölfte Stunde einen Donnerschlag aus,
Regen und Hagel peitscht uns für eine oder mehrere Stunden ins Gesicht. Gegen
Abend — man staunt immer wieder, wie rasch und leicht es geht — lösen sich
die Wolkenknäuel wieder auf. Der Wind schläft ein, und bis es Nacht geworden
ist, wölbt sich über uns der bezaubernd schöne Sternenhimmel Tibets und lädt
meine Leute ein , sich viele Stunden lang ihre Sagen vom Himmelsfluß (der
Milchstraße), vom Königsohn und seiner Geliebten zu erzählen, die erst beiein-
ander wohnen durften, nachdem sie Sterne geworden waren.
Als ich tiefer und damit wieder zu besseren Grasweiden gekommen war, stellten
sich Kyangrudel in größerer Zahl ein; auch sonstiges Wild, Yak (Tafel VII),
Hasen, Füchse und Murmeltiere, war ungemein häufig, so daß wir oft lange kein
Schaf schlachten mußten. Orongo-Antilopen dagegen fehlten in dem Tale
gänzlich. Diese lieben offenbar nur die ganz hohen, unwirtlichsten Gegenden,
wo auf breiten, schwach welligen Hochflächen gerade noch genügend Futter
für ihre bescheidenen Bedürfnisse vorhanden ist. Dagegen erhielt hier meine
Sammlung ein prächtiges Exemplar eines Ovis Poli, eines riesigen Wildschafs,
das die Chinesen Da t`ou wan yang, die Mongolen Argali nennen. Es scheint
in Osttibet ziemlich selten zu sein und nur in der nördlichen Hälfte in felsigen
1) Diese Erzählung meines Tsch`eng, der selbst allerdings nicht lesen konnte, stammt aus dem Schih yu tschin tsuen, einem buddhistischen Roman, der in China sehr viel gelesen und weitererzählt wird. Tang sen soll natürlich der bekannte Hsüen tsang der Geschichte sein, der im Anfang des 7. Jahrhunderts über das heutige Turkistan und Pamir nach Indien, in die Heimat Buddhas, gereist ist. — Vgl. das hundert-bändige chinesische Buch „schih yu tschin tsuen" (Bericht einer Reise nach dem Westen), und hieraus Th. Pavie in Journ. asiatique, V. ser., 9. u. 10. Bd., 1857, außerdem E. W. Thering, Chinese fiction, in China Review XXII, XXIII.
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