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0099 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 99 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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Der Weg, den mich der Dolmetscher Schü nach Westen führte, brachte uns

über einige steinige, niedere Joche. Nach anderthalb Stunden schon trafen wir auf die ersten schwarzen Yakhaarzelte, die in Gruppen zu vieren und fünfen in windgeschützten Mulden sich an den Boden anschmiegten. Eine große Menge Pferde und Schafe sahen wir am Wege grasen. Unter den bewaffneten Hirten sprachen wir einmal einen sechzehnjährigen Jungen, den Sohn eines Hsië dia von Dankar, der von seinem Vater „au pair" in eine tibetische Familie gebracht worden war. Er sollte als Vorbereitung auf seinen künftigen Beruf gut Tibetisch lernen.

Gegen Abend kehrten wir beim Wanschdäch`e Ts`ien hu ein, wo zunächst freilich nur die Frau zu Hause bzw. im Zelte war. Mit möglichst langsamer, chinesischer Gravität, mit unzähligen „da schaage da schaage ja ja ja ja!" folgten wir der Aufforderung, einzutreten.

Das Zelt war ein wahres Monstrum seiner Art. Es maß 12 auf 17 m im

Innern. Mit den zahlreichen Stricken, die aus dem schwarzen Zeltkörper heraus nach allen Richtungen liefen und außerhalb des Zeltes über hohe Stangen gespannt waren, um erst 6 m davon entfernt mit Pflöcken am Boden befestigt zu werden, nahm es sich wie ein riesenhafter Tausendfüßler im Talgrunde aus. Mit den tibetischen Sitten allmählich vertraut, setzte ich mich auf den Gastplatz dicht an dem hinter dem eigentlichen Herd errichteten Dungkasten, auf dem zum Gebrauch bereit die Porzellantassen der Familie aufgestellt waren. Die Hausfrau kredenzte uns mit hoch erhobenen Händen 1) das Nationalgebräu, den Milchtee, mit einem Bodensatz aus Butter, Tschürra und Tsamba, und wir

Gäste beschäftigten uns einstweilen damit, am Aschenloch des Herdes die

glühenden Schafböllchen hervorzukratzen und über der ausgebreiteten Masse die Hände zu wärmen. Das eine und andere der Kügelchen diente auch dazu, die chinesischen Tabakpfeifen in Brand zu setzen, die bekanntlich einen Kopf von der Größe eines Fingerhuts haben, so daß man fortwährend in Arbeit ist.

Der Zeltherr hatte an diesem Abend und in der Nacht ein wichtiges Ge-

schäftchen. Um Mittag waren plötzlich dreißig tibetische Kaufleute mit vierhundert Yakrindern angerückt und wollten mit dem Stamme Handel treiben. Sie gaben an, von Dergi zu sein, aber nur zwei von ihnen und nicht einmal die Sprecher trugen die langen, offenen Haare, die in K`am-Dergi bei den Männern Mode sind. Die meisten hatten das Haupthaar rasiert. Die Wan"schdäch`e argwöhnten deshalb, daß die Kaufleute Horkurma-Leute vom oberen Hoang ho seien, und da Räuber von Horkurma einige Jahre zuvor mehrere Wanschdäch` Tschabtsa, die nach dem Kloster Lab gomba an der Grenze von Dergi pilgerten, überfallen und ausgeplündert hatten, so verlangten meine Wanschdäch`e Tschabtsa von den Kaufleuten erst einmal dreißig Yak als Sühnegeld; dann wollten sie sich mit ihnen in Kaufgeschäfte einlassen.

Ganz atemlos und aufgeregt erschien um sieben Uhr abends der Häuptling und sein besonders redegewandter Bruder, dem es durch sein fabelhaft geschmiertes Mundwerk, durch zahllose Irrwege, Einwürfe, Metaphern (gdam dbi auf tibetisch) gelungen war, die Sprecher der Kaufleute hereinzulegen und zu

1) Bei Mongolen wie Tibetern und Chinesen muß man jeden Gegenstand, den man einem anderen übergeben will, mit zwei Händen anfassen. Nur eine Hand zu gebrauchen, gilt als ungezogen und oft als Herausforderung.

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