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0105 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 105 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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Nachdem die Parteien die Gleichwertigkeit der zweimal zwanzig Rinder an-

erkannt haben, wird ein großer Kessel voll Butter über einem Feuer erhitzt

werden und in dem heißen Fett versenken die Unparteiischen einen weißen

und einen schwarzen Stein von gleicher Größe, je in ein Stück Baumwollstoff

eingewickelt und versiegelt. Erst wird er, dann sein Herausforderer, der, der

das Pferd verloren hat, nach dem weißen Stein im heißen Fett greifen. Greift

er den weißen — das heiße Ül dient dazu, daß keiner lange herumtasten und

suchen kann — und ist seine Hand unversehrt geblieben, so gilt seine Unschuld

als erwiesen. Wehe aber, wenn er den schwarzen faßt oder seine Hand ver-

brannt ist ! Obendrein wird er noch die zwanzig Rinder abgeben müssen, auch

können ihm noch als einem Dieb zur Strafe die Fußsehnen durchschnitten

werden.

Hell leuchteten daher die Augen des jungen Spitzbuben auf, als ich mich

bereit erklärte, gegen ein Draufgeld meinerseits das fragliche Tier gegen seine

beiden Mähren einzutauschen, und kurz darauf verließ ich die Hartschiu mit

meinem Tschang und Ma und mit einem nur leicht beladenen Handpferd, das

meine kostbaren Notizbücher trug. Wäre ich auf den Handel nicht eingegangen,

so hätte ich auch zwanzig Rinder wetten können, daß mir das Pferd in den

nächsten vierundzwanzig Stunden unversehens abhanden gekommen wäre.

Wie tibetische Räuber ritten wir. In flottem Schritt ließen wir Meile um

Meile hinter uns und nach weiteren sechs Tagen war die chinesische Zivilisation

erreich t.

Am ersten Nachmittag blieben wir so lange im Sattel, bis ich in der Dunkel-

heit auf dem Zifferblatt meiner Uhr die Zeit nicht mehr ablesen konnte. Vor

Sonnenaufgang wurde wieder aufgestanden und losgeritten. Ma mit dem Hand-

pferd voraus, wir dicht hintendrein. Wenn die Sonne so hoch war, daß es uns

nicht mehr fror, suchten wir nach Wasser und kochten Tee. Das Lastpferd

wurde abgeladen, die Pferde zu zwei und zwei an langen Stricken angepflöckt.

Ich sammelte in einer Falte meines Mantels Dung zusammen und bald flackerte

das Feuer unter dem Zischen und Pusten des Blasebalgs. Während die Tiere

grasten, aßen wir unser frugales Frühstück, unsere dicke, salzige Teesuppe,

unser Tsamba, halbrohes Fleisch, tibetische Würste. Nach anderthalb Stunden

hasteten wir weiter bis zum Nachmittag, wo nochmals abgekocht wurde: Zum

dritten Male wurden die Lasten aufgebunden und bis in die Dunkelheit hinein

ging's durch die Steppe. Plötzlich scharf abbiegend, bargen wir uns dann in

einem Seitental, 1-2 km abseits von der Straße. Es ist mittlerweile stock-

finster geworden. Die Pferde werden an einer Fessel festgebunden und grasen

die Nacht über in der Länge ihrer Leine. Nur kurze halbe Stündchen halten

die Tiere inne, legen sich nieder und schlafen. Wir suchten für sie immer ein

Plätzchen mit möglichst gutem Gras und, wenn es irgend ging, geschützt gegen

den starken Westwind. Bis wir uns niederlegten, waren Hände und Füße steif

vor Kälte und wie ein Wurm krümmte man seinen Körper zusammen, um nicht

die letzte Wärme entfliehen zu lassen, ging doch das Thermometer in dieser

Zeit bei Nacht bis — 16 °, einmal auf einem Paß bis — 20 ° herab und der West-

wind wollte dabei nimmer aufhören. Das letzte gerettete Hemd war längst

in Fetzen, die Hosen nur noch in Spuren vorhanden; ganz wie drei ngGolokhs,

nur in schmierigen, wilden Pelzen und mit Schaftstiefeln ohne Strümpfe, ritten

wir während dreier Tage an dem Blauen Meer, dem Ts`o ngombo, vorüber.

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