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0108 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 108 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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löst nur am ersten Tage ein freudiges Gefühl aus. Der Zauber des Kuku nor liegt in seiner Weltabgeschiedenheit, in der Schwierigkeit, mit der man ihn er-

reicht, in der Gefahr, die heute an seinen Ufern lauert!

Ich erreichte am Nachmittag des B. November den Ostrand. Unweit von der Stelle, wo mein jetziger Weg die Route kreuzte, die wir damals nach dem Januarüberfall eingeschlagen, fanden wir endlich wieder Leben. Es ist hier das Land der Tibdia-Tibeter. Bei diesen nächtigten wir. Es lag dort Schnee und

die Witterung war feuchtkalt.

Früh am Morgen des 9. November überschritten wir hierauf den Lala-Paß

(3885 m), einen engen Sattel in den Felsbergen im Osten des Sees. Metertief lag daselbst der Schnee. Von ihm aus ging es sofort steil in ein buschbewachsenes Tal hinab, in dem wir um Mittag schon einige Häuser trafen, und um fünf Uhr abends ritt ich durch das Tor der Westvorstadt von Dankar — der lange, mühselige Rückzug hatte sein Ende. Ich fühlte mich schon wie geborgen in der Heimat.

12 km vor Dankar, bei einem Tibeterdorf Lala, steht ein einsamer Grenzstein aus dem 51. Jahr Kaiser Kien lung's (1786), der China und Tibet scheidet, aber bis kurz vor die Mauern der Stadt ziehen sich an den Bergen die Grasweiden. Etwa bei dem Grenzstein wurde die Luft merklich staubiger. Ein feiner Dunst legte sich über die in der hellen Wintersonne schimmernde Landschaft. An einer Talecke stellte sich ein dicker Lößwulst und dann ein Lößhöhlendorf ein. Endlich begegneten wir Chinesen, trafen einen Mann in indigoblauen Kattunkleidern, in der Hand ein Vogelbauer, in dem er seinen geliebten Piepmatz an die frische Luft spazieren trug.

Die erste Frage meiner zwei Begleiter war immer : Wie war die Ernte dieses Jahr? Wie teuer ist der Weizen? Wie teuer die Bohnen? Die Antwort lautete freudig : Es ist eine „Zehnzehntelernte" gewesen. Für das Pfund Weizen müssen wir nur 15 Cash (5 Pfennig) bezahlen. Sie konnte nicht besser ausfallen. — Mit einem Schlage war ich mitten in der Kultur Chinas, umgaben mich rein chinesische Züge und Bilder. Ein Bauer mit einer großen runden Brille vor den Augen pflügte am Wege. Kleine, entzückende Chinesenkinder spielten in dem dicken Staub der Straße vor dem Tor. Halbnackt ließen sie die Mütter der Winterkälte zum Trotz herumlaufen. Die Buben hatten ein eisernes Kettchen und ein Vorlegeschloß um den Hals, damit sie an die Familie angekettet seien und nicht von bösen Geistern weggeholt werden könnten. Andere Buben waren von ihren Eltern wie Mädchen frisiert worden, um die bösen Geister irre zu leiten. Um so ein wertloses Würmchen wie ein Mädchen schert sich in China ja nicht einmal ein Teufel. Für den Menschen und darum auch für die bösen Einflüsse handelt es sich nur um den Stammhalter, der Gebete und Opfer an dem künftigen Grabe des augenblicklich noch lebenden Vaters darbringt.

An Holzkästchen kamen wir vorüber, die an unsere europäischen Briefkasten erinnerten. An eine Post dachte aber damals in Dankar noch kein Mensch. Sie trugen die Aufschrift : Gedenket des beschriebenen Papiers!" und waren — wie überall in dem Achtzehnprovinzenreich — nur aufgestellt, damit die Menschen nicht die Sünde begehen, beschriebenes oder bedrucktes Papier, das bekanntlich heilig ist, mit Füßen zu treten. Am ersten Chinesenhaus klebte eine riesige Proklamation, die der Ting von Dankar unterzeichnet hatte, und in der er dem Volk zu wissen tat, daß der Dalai Lama von Urga nach Gum bum übergesiedelt sei. Die Leute sollten willig die verlangten Kon-

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