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0110 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 110 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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und ein Blick in den Hals zeigte, daß ihn auch noch Diphtherie, die Geißel des trockenen Zentralasiens, befallen hatte; und wir hatten ja kaum ein Linderungsmittel für die Leiden des armen Jungen. In ihrer Güte und Menschenliebe hatten Mr. und Mrs. Ridley das letzte Mittel aus ihrer Apotheke an arme Chinesen weggeschenkt, und was ich hatte, war in Tibet geblieben, selbst meine Kampferspritze lag damals noch in Dulan gomba. Freilich von Anfang an war nicht viel Hoffnung, den begabten Jungen durchzubringen. Sein Herz war zu schwach. Zwei Tage später starb er. Und als die bekümmerten Eltern mit ihren chinesischen Freunden den Sarg auf ein einige Meilen von der Stadt entferntes Grab hinaustrugen, setzte die entsetzliche Seuche bereits ihrem zweiten Knaben zu. Auch bei diesem wollte nichts, was wir versuchten, helfen. Er folgte seinem Brüderchen nach wenigen Tagen ins Grab.

Der Schmerz der armen Eltern war über die Maßen, als wir das tote Kind zum letzten Male wuschen und dann in sein Särgchen betteten und dieses schlossen. Nie habe ich gleichermaßen die Missionare bewundern müssen, die mit ihren Familien in die fernsten Länder ziehen, um anderen, dem alten Bibelwort folgend, die Segnungen des Evangeliums zu bringen, dafür aber zumeist nur Undank ernten und schließlich selbst ihre eigenen Familien opfern. Man mag über die Missionsfrage denken, wie man will, tiefen Respekt verlangt dieser Opfermut. Die China Inland Mission, der auch Mr. und Mrs. Ridley angehören, vereinigt in sich eine ganze Reihe von Sekten, High church und Lutheraner, Brethren, Methodisten, Angehörige der Heilsarmee u. a. m. Alle arbeiten gemeinsam und für einen Lohn, der gerade zum Leben ausreicht. Zu meiner Zeit hatte jedes aktive Mitglied, Mann oder Frau, etwa 20 Tael im Monat. Es galt da trotz der billigen Lebensbedingungen gut haushalten, um auszukommen.

Mr. und Mrs. Ridley warfen sich nach der schweren Prüfung mit doppelter Kraft auf ihr Werk. Es gab viel Krankenpflege in diesen Tagen. In ganz Kan su hatte es schon mehrere Monate nicht geregnet, und Scharlachfieber und Diphtherie hielten allenthalben grausige Auslese. Aus der doch kleinen Stadt Hsi ning fu trugen sie täglich achtzehn bis zwanzig Leichen. Viele Kinder warfen die Chinesen nur über die Mauer, wo wilde Hunde und Vögel sich um das Fleisch balgten.

Eines Nachts wurde ich in ein Haus geholt, wo in der Mittelhalle eine junge Frau in ihren besten seidenen Kleidern auf einer Pritsche lag und den Tod erwartete. Die taoistischen Priester hatten umsonst versucht, mit Glockenklang und Gong die Krankheit zu bannen, nun sollte der weiße Zauberer helfen. Schon stand der Sarg neben der Kranken und keiner der Angehörigen wollte mehr in der Nähe der Frau weilen. Sie röchelte nur noch, als mir ein Diener mit der Kerze leuchtete.

Die Seuche traf alt und jung und selten schlug ein Mittel an. Bäder und Abwaschungen, behaupteten die Leute, bedeuten den sicheren Tod. Es nahm mich nach dem hier Erlebten nicht wunder, daß die Eingeborenen die Kindersterblichkeit in und um Hsi ning fu auf siebzig Prozent schätzten; sonst nimmt man im allgemeinen in China eine Kindersterblichkeit von nur fünfzig Prozent an. Und doch dringt auch hier das Chinesentum immer weiter und siegreich vorwärts. „Rdya sche sdong loch` !" (Schlägst du heute hundert tot, stehen morgen tausend dafür da!), so sprechen die Tibeter von ihren Nachbarn und Herren, den Chinesen. Eine kraftvolle Rasse braucht, um sich durchzusetzen, nicht den Schutz der europäischen Hygiene!

 

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