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Meine Tibetreise : vol.2 |
Nudeln für die Pilger kostenlos stellen. Die Beamten waren gehalten, dem
Hohepriester jeden möglichen Wunsch zu gewähren. Die Bevölkerung jammerte,
das chinesische Heer nach der Niederwerfung der Mohammedanerrebellion sei
leichter zu erhalten gewesen. Viele tausend Kochgeschirre wurden durch den
Haien-Ya men bei den einheimischen Familien entlehnt, damit die müden
Reisenden bei ihrer endlichen Ankunft in Hsi Hing fu kochen könnten. Natür-
lich brauchten die Tibeter kein einziges davon. Wer aber seinen Familien-
kochtopf wieder haben wollte, mußte dafür mindestens die Hälfte seines Wertes
an die Angestellten des Ya mens bezahlen.
Der Dalai Lama war in Begleitung eines Spezialgesandten vom Pekinger
Hofe Ende Oktober bis zum Kloster Gum bum gereist. Von dort kehrte diese
besondere Ehreneskorte wieder nach Peking zurück, und der Amban, der Präfekt
und der Landrat verlegten ihre Wohnung wochenlang in das Kloster, um dem
Dalai Lama zu Diensten zu sein. Der Amban mußte jedoch zehn Tage lang
warten, bis er die Heiligkeit zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht sah,
und zweimal hatte man ihm seine Geschenke mit dem Bemerken zurückgewiesen,
sie seien zu unansehnlich. Die Beamten schäumten vor Wut. Der chinesische
Stolz wurde aufs härteste getroffen. Dies wagte ein Fan tse, ein „Barbar", zu
bieten!
Auch noch nach vielen Wochen beschränkte sich der Verkehr des Ambans
mit dem Dalai Lama auf eine steife Audienz alle zwei Tage, während deren die
Heiligkeit auf einem Postament und neun Kissen saß und der zitterige Amban
nach einem dreimaligen Ko tou sich nach dem Befinden und den Wünschen
seines hohen Schützlings erkundigen durfte. Der Dalai Lama sagte die Ant-
wort seiner Umgebung, die sie ins Chinesische übersetzte. Eines ist sicher, die
Hsi ninger Beamten hätten den Dalai Lama am liebsten so rasch wie möglich
in die Steppen abgeschoben. Man nannte ihn den „ling gui" und bezeichnete
ihn damit als ein kluges, aber böses Irrlicht.
Um mir persönlich den Dalai Lama anzusehen, ritt ich, mit mancherlei
Geschenken gewappnet, an einem der vielen sonnigen Winternachmittage von der
Stadt Hsi Hing nach Lusar, nach dem Chinesen- und Mohammedanerdorf neben
dem Kloster Gum bum (s. Bd. I Abb. 14). Ich hatte niemand meine Absicht
Wissen lassen, denn wie ich später merkte, nahm ich mit vollem Recht an, daß
die chinesischen Mandarinen mir Hindernisse in den Weg legen würden. Um
möglichst wenig Aufhebens zu machen, hatte ich sogar nur ein en Diener mit
mir genommen. Die zurückgebliebenen Ma fu glaubten, ich sei in Dankar.
Ich kam in dunkler Nacht am Ziele an und fand Lusar wie Gum bum bis auf
das letzte Plätzchen mit Pilgern und Pilgerinnen überfüllt. Es kostete viel
Mühe, ein paar Zoll in einem Stall zu bekommen; wie Heringstonnen, nicht wie
menschliche Wohnungen, sahen die niederen Räume der Lehmhütten aus.
Am nächsten Morgen machte ich mit Hilfe eines mohammedanischen Händlers
die Bekanntschaft eines alten, dicken Mongolenlama. Unweit vom großen
Klostertore wohnte der schlau und fettig aussehende Priester in seinen ocker-
gelben bauchigen Kleidern in einem niederen holzgetäfelten Stübchen. Mit
buntfarbigen Papierscheibchen waren die Gitterfenster verklebt, die in den
kleinen, viereckigen Hof eines der einstöckigen Priesterhäuser sahen. Der Lama
war der Dolmetscher und Berater des Großlama im Verkehr mit mongolischen
und chinesischen Würdenträgern. Er schien der geeignete Mann, mir Eintritt
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