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0114 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 114 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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beim Dalai Lama zu verschaffen und ich suchte ihn in den nächsten Tagen des öfteren auf, um ihn für meinen Zweck zu bearbeiten. Jedesmal, wenn ich in sein

Stübchen trat, hockte er in seiner Fensternische vor einem dicken Bündel Gebete und studierte sie. In die wohltuende Klosterstille und Abgeschiedenheit im Stübchen und im Höfchen davor drangen nur in Zwischenräumen die anschwellenden Töne einer Litanei, die ein benachbarter Priester anstimmte. Dann und wann erschien ein zerlumpter Bettler am Hoftor und rief laut, aber jammervoll: „Herren Lamas, habt Erbarmen! Ich bin auf dem Wege in dies Heiligtum unter die Räuber gefallen. Sie haben mir Zehrung und Zehrgeld genommen." Einer der Priestereleven nahm dann wortlos ein Brot oder eine Handvoll Tsamba aus der Küche und warf das Almosen dem Bettler in den vorgehaltenen Beutel.

Mein Mongole verstand nicht, daß ich als Fremder und Ungläubiger auf einen Besuch beim Dalai Lama erpicht sein konnte, ohne ein hoher Würdenträger meines Landes zu sein und in einem geheimen Auftrag seinen Herrn aufsuchen zu müssen. Wieder und wieder stellte er an mich die Frage, ob ich nicht ein Schreiben von dem Herrscher meines Landes zu übergeben habe. Indem ich dies verneinte, durfte ich anderseits doch auch nicht verraten, daß einzig und allein Neugier mich hertrieb.

Der Alte erzählte rühmend, daß täglich vier- bis fünfhundert Menschen, Männer, Frauen und Kinder, vor dem Großlama, dem „kleinen Kaiser"') wie er sich ausdrückte — vorbeizögen, die alle von ihm gesegnet, d. h. am Scheitel berührt sein wollten. Alle diese batten ein Geschenk dafür mitzubringen, auch die zerlumptesten Bäuerinnen und schmutzigsten Nomadenweiber, die von Sung pan- oder vom ngGolokh-Lande zu Fuß herbeigeeilt waren, brachten wenigstens einige Pfund Butter, etwas Silber und ein weißliches, spinn-webähnlich dünnes Fetzchen, den „Khádar". Jeden Nachmittag sah ich dieses Pilgervolk auf dem Wege hinter dem Hause meines Freundes sich aufstellen. In einer langen Reihe warteten sie knieend und betend. Nach stundenlangem, andächtigem Harren ließ man sie dann mühsam zu zweien und zweien am Tore des Abtshauses vorbeirutschen. Auf der letzten Stufe stand der Dalai Lama in langer Priesterrobe mit seiner gelben, hohen und spitzen Mitra auf dem Kopfe, ein dünnes Stäbchen in der Rechten, an dem eine in Leder genähte Gebetsrolle baumelte. Alle die murmelnden, alle die entblößten und zur Erde gebeugten Pilgerhäupter wurden damit vom Dalai Lama der Reihe nach berührt, während mit langen Lederpeitschen bewaffnete Polizeimönche die Ordnung aufrecht hielten, so daß man als Unbeteiligter die Vorgänge während dieser Zeremonie nur aus hundert Schritt Entfernung betrachten konnte, wollte man sich nicht einen Buckel voll blutiger Striemen holen.

Mit dem Volksglauben, daß die Berührung oder gar der Hauch des heiligen Großlama einem damit Beglückten große Vorteile beim Wiedergeborenwerden, im jetzigen Körper aber bereits Verzeihung der Sünden und wirksamen Schutz vor bösen Einflüssen und Geistern bringe, wurde im Kloster Gum bum wahrhaft Wucher getrieben. Für die niederen Heiligeninkarnationen, sogar für die kleinen Huo fo ye, die dii minores, die in irgend einem Bergkloster zu Hause waren,

1) Erst in Peking und fast ein ganzes Jahr später war ihm aber vom Kaiser der Titel eines Bannerfürsten I. Klasse (Hoschu Ts`in wang) verliehen worden.

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