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0116 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 116 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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über und über mit dem Staub und Schmutz des Bodens beschmiert waren. Europäer nennen oft den Dalai Lama den Papst Tibets und Zentralasiens und vergleichen seine Residenz Potala mit dem Vatikan. Für die Lamaisten ist der Dalai Lama aber weit mehr als ein Papst. Er ist nicht nur der oberste Hirte, ihm wird nicht nur Unfehlbarkeit zugesprochen, ja er ist nicht einmal mehr ein bloßer Heiliger, er ist für seine Anhänger bereits einer der höchsten Götter, dem nichts verschlossen bleibt. Wie ich schon früher auseinandergesetzt habe, wird er für die Fleischwerdung des Bodhisatva Padmapani oder Avalokitesvara gehalten, d. h. er verkörpert eine letzte Vorstufe vor der Buddhaschaft selbst, vor dem höchsten und vollkommensten buddhistischen Wesen überhaupt 1). Und dieser hohe Angebetete weilte damals in Gum bum und war so bequem für die Außenwelt und für mich zu sehen, weil er zuerst jahrelang, aufgereizt durch seinen Verkehr mit russisch-mongolischen Mönchen, seine Nachbarn, die Engländer, herausgefordert hatte, dann, als einige englische Regimenter gegen seine sagenumwobene Hochburg marschierten, die Flinte ins Korn warf und unter dem Vorwand, er müsse meditieren — aus seinem Lande floh, bis er endlich von den Chinesen recht unfreiwillig in das Grenzkloster Gum bum verpflanzt wurde. Obwohl er dadurch jedermann nur zu deutlich gezeigt hatte, ein wie unvollkommener Mensch auch er war, so war er für die große Masse der Tibeter doch noch immer der Bodhisatva und eine leibhaftige Gottheit geblieben. Nur bei vielen Lamas hatte sein überstürztes Verhalten, seine Flucht in der Richtung auf das ferne Rußland vielfaches Kopfschütteln hervorgerufen. Gerade unter den Höhergestellten und Maßgebenden seines Volkes hatte er an Ansehen eingebüßt. Um daher das alte Prestige wieder zu erlangen — so ließ ich mir erzählen — soll er sich in Gum bum mit besonderem Eifer aufs Lehren und Diskutieren der buddhistischen Scholastik verlegt haben und seine Flucht aus Lhasa wurde von ihm gleichzeitig für eine bloße Reise in das westländische Ausland erklärt. Wäre der Dalai Lama auch fernerhin bei seiner Scholastik geblieben, wäre er nicht in seinen alten Fehler verfallen, hätte er nicht weiter seiner Herrschsucht gefrönt und dabei seine Kräfte überschätzt, so hätte er ohne weiteres seine verlorene Stellung und sein altes Ansehen bei hoch und gering wiedererlangt. Er hätte sich auch mit seinen Herren, den Chinesen und den Mandschu, vertragen. Aber selbst unter den hohen Lama in Gum bum hörten die Klagen über seine Arglist und Ränkesucht nicht auf. Er kann eben nicht bloß ein Heiligenleben führen. Ungleich dem gelehrten Pan tschen Lama von Traschilhumpo fühlt sich der Dalai Lama weniger als hoher Priester, denn als politischer Beherrscher von Tibet.

Dalai Lama ist ursprünglich nur ein mongolischer Ehrentitel, der zum ersten Male im Jahre 1575 von Altan Gegen Khan (chines.: Yen ta, s. Bd. I, S. 189) verliehen und 1650 vom Kaiser Kang hi bestätigt wurde. Der Titel bezeichnet einen Lamapriester, der groß wie der Ozean ist. Die Tibeter selbst kennen diesen Namen nicht; sie nennen ihren Priesterkönig „rGyalwa rimpotsche"

 
   

1) Der fünfte Dalai Lama insbesondere hat es verstanden, sich als eine ganz besondere Verkörperung hinzustellen. Im Dalai Lama soll jetzt neben dem Bodhisatva Padmapani noch der Gott des Todes und der große tibetische König Srong btsan sgampo, der 629 den Thron bestieg, endlich sogar der sagenhafte König Gesar verkörpert sein. [Der rDsche btsun damba von Urga (s. Bd. I, S. 101, Anm. 1) gilt nebenbei als Verkörperung des klugen Pferdes von König Gesar.]

     

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