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0117 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 117 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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(spr.: Diáwa rémbodyi), d. h. „allerkostbarsten Überwinder". Der Eigenname des heute lebenden Dalai Lama ist „Nag dban bLobzang Tob l d a n rgyam ts`o", d. h. der redegewandte, edelgesinnte Tobden. Er ist der dreizehnte seines Zeichens und ist im Jahre 1875 oder 1876 als Sohn eines wenig begüterten Mannes, angeblich eines Holzhauers, im Südwesten von Lhasa in einem Dörfchen unweit von Nam dschong im Distrikt Takbo geboren 1). Daß er sehr frühreif war und überhaupt intelligent und listig ist, beweist am besten die Tatsache, daß er mehr als achtzehn Jahre alt geworden ist. Die vier letzten Vorgänger von Tobden Dalai Lama sind alle, kurz ehe sie ihre Volljährigkeit erlangten, d. i. ehe sie siebzehn Jahre alt wurden, „gestorben" und fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch hatte ein Regent im Verein mit den chinesischen Ambanen die Herrschaft in Lhasa und die Siegel Zentraltibets in Händen. Erst Tobden war beizeiten so klug, daß er sich hinter dem Rücken des Regenten Freunde zu erwerben wußte, mit deren Hilfe er gerade, ehe er beiseite geschafft werden sollte, einen Staatsstreich ausführte. Er setzte 1894 den Regenten gefangen und regierte von jener Zeit bis 1904 als beinahe unumschränkter Herr2).

Längst war hinter den Bergen von Gum bum die Dezembersonne mit den letzten wärmenden Strahlen verschwunden, die Dämmerung brach herein und beißende Eiseskälte verbreitete sich, als der Dalai Lama sein Frage- und Antwortspiel aufgab und in feierlicher Prozession wieder den Berg zum Abtspalast hinaufstieg. Die vielen Priester hatten von der Kälte blaurote Nasen bekommen. Sie schlüpften eilig in ihre Stiefel, zogen ihre Toga über den Kopf und huschten wie Fledermäuse an mir vorüber nach ihren Quartieren. Noch ehe es vollkommen Nacht geworden war, standen die winkligen Gassen der Klosterstadt menschenleer da und nur die zahllosen herrenlosen Hunde unterbrachen mit ihrem Gekläff die weihevolle Ruhe, die noch auf jeden, der eine größere Lamasiedlung besucht hat, einen tiefen Eindruck gemacht hat.

Ich hatte an diesem Abend in meiner winzigen Gasthofzelle in Lusar, in der einst schon Rockhill gewohnt hatte, einen lustigen Gast zu Tisch. Herr E. Teramoto, ein Japaner, der in der Kleidung eines mongolischen Mönchs im Kloster und in der Nähe des Dalai Lama weilte (Tafel XVI), hatte mich zu später Stunde noch mit seinem Besuch überrascht , und bis lange nach Mitternacht kauderwelschten wir Chinesisch, Englisch und Französisch zusammen. Kraft seines

  1. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Inkarnationen aller hohen Lama, insbesondere des Dalai Lama und Pantschen Lama, ausschließlich Söhne der großen Adelsfamilien. Darin erblickte die mandschurisch-chinesische Regierung eine Gefährdung ihrer Politik und darum suchte sie die Würden zu demokratisieren. Kaiser Kien lung erließ 1793 eine Verordnung, die diese Sitte geißelte und es für unmöglich erachtete, daß die Seelen immer nur in den Adelsfamilien wiederkehrten. Es wurde vorgeschrieben, daß man bei der Neuauffindung der Inkarnationen auch im Bürgertum suche und daß immer unter drei Kandidaten das Los zu entscheiden habe, wer die richtige Inkarnation sei. Die Durchführung der Verordnung machte längere Zeit Schwierigkeiten und erst 1822 wurde ein Dalai Lama gemäß der chinesischen Verordnung gewählt.

  2. Es geht die Sage, daß er der letzte Dalai Lama sein werde. In Ost- und Zentraltibet ist die Weissagung verbreitet, daß der Dalai Lama nur dreizehnmal wieder-geboren werde; die chiner fischen Machthaber werden jedenfalls — sollte Tibet noch einmal chinesisch werden — alles daran setzen, eine Wiedergeburt dieses unbequemen Vasallen, den sie ja nur, wenn er einmal geboren ist, de jure, aber nie de facto seiner Würden entkleiden können, zu hintertreiben.

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