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0123 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 123 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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vermittelt hatte, warum es der Bauer denn so eilig habe. Mein Mann schmunzelte

und ohne ein Wort weiter zu verlieren, packte er mich am Arm und führte mich

hinter dem Bauern drein einige Häuser weiter. Dort warf eben der Bauer das

Silber für die Maultiere auf einen Tisch und ergriff mit kräftigem Arm eine mittel-

altrige Frau, die sich vergebens zur Wehr setzte und anscheinend ahnungslos

vor der Türe gesessen hatte ; rasch hob er die Frau auf sein Pferd und eilte mit

ihr dem nächsten Stadttor zu. Die Dämmerung hatte sich schon herabgesenkt.

Er kam gerade noch vor Torschluß davon. Die Chinesen, die dem Schauspiel

zusahen, lachten aus vollem Halse, während die Frau ihr Gesicht in den Händen

barg und laut und jammerwürdig schluchzte. Mein Führer erklärte mir unter

Lachen : „Der Mann hat sich für deine zwei Maultiere diese abgeblühte Frau,

eine Witwe, eingetauscht." Es ist nicht anständig, Witwen zu ehelichen. Mit

Witwen feiert man darum auch keine Hochzeit mehr und ladet keine Gäste

ein. Der neue Ehemann zahlt einen gewissen Preis an die Familie des Ver-

storbenen, oder wem die Frau sonst gehört, und verläßt mit ihr, möglichst bei

Dunkelheit und ohne viel Aufsehen zu erregen, ihr altes Heim. Hält die Witwe

auf Anstand und gute Erziehung, so verläßt sie das alte Haus unter einem

Strom von Tränen, auch wenn sie herzlich froh ist, daraus hinauszukommen.

Ein anderer, für das Rechtsempfinden des Hsi Hinger Volkes charakte-

ristischer Vorfall ereignete sich um die gleiche Zeit. Der Sekretär eines Ya men

schuldete einer Bank 5 Tael und ließ diese kleine Schuld trotz wiederholter

Mahnung stehen. Der Bankinhaber sandte jetzt aufs neue einen seiner An-

gestellten und drängte auf Bezahlung. Da der Mann aber nicht zahlen konnte

oder wollte, gab es eine erregte Szene und eigenhändig schnitt sich plötzlich

der Schuldner mit einem Messer einen Finger seiner linken Hand ab und warf

ihn dem jungen Mann mit den Worten vor die Füße: „Hier hast du dein Geld!"

Wie ich mir sagen ließ, wäre die Schuld mit dem Blut beglichen gewesen. Die

Gemüter der beiden waren aber bereits derartig erregt, daß der Streit weiter

ausartete und der Bankangestellte von dem Sekretär und dessen Familien-

angehörigen tüchtig durchgeprügelt wurde. In seiner Not stieß der Angestellte

mit dem Fuße aus und traf den Sekretär so unglücklich, daß dieser ohnmächtig

zusammenbrach und zwei Tage darauf tot war. Die Sekretärsfrau lief nun zum

Hsien und klagte den Bankangestellten des Mordes an ihrem Manne an. Der

Hsien ließ den jungen Mann festnehmen und er hätte ihn wohl auch enthaupten

lassen, wenn nicht seine Familie von der Bank 2000 Tael als Ersatz für den

Verlust des Sohnes verlangt hätte. Schließlich entschied der Hsien (der Vater-

Mutter-Mandarin), daß die Bank 600 Tael an die Schreiberswitwe zahlen und

den jungen Angestellten damit wieder freikaufen solle. Da die „Bank" noch

obendrein Gerichtskosten an den Hsien entrichten mußte, so war ihr Inhaber

wegen der 5 Tael um Haaresbreite an der Pleite, als ich Hsi ning fu verließ.

Es war mir klar geworden, daß ich bei dem neuen Zug ins Hochland an

eine Fortsetzung der alten Route nicht denken konnte. Es hätte zu viel Zeit

in Anspruch genommen, an die alte Stelle auf der Tschang tang zu gelangen.

Bis ich dorthin gekommen wäre, würden die Tiere so sehr durch die Winter-

kälte wie auch durch die Länge des Weges gelitten haben, daß ich nur wenig

Aussicht gehabt hätte, einen weiteren großen Vorstoß machen zu können. Es

fehlten mir aber vor allem auch die Mittel, ein zweites Mal eine gleich große

Karawane auszurüsten. Ich hatte mich deswegen für eine Reise in das wenig

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~.

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