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Meine Tibetreise : vol.2 |
schmerzhafte, drückende Herzbeklemmungen. Wir fühlten uns wie zerschlagen,
kurz, wir hatten dieselbe Krankheit, die uns am Tschürnong heimgesucht hatte.
Die anderen, die nicht krank geworden waren, hatten das Glück gehabt, daß
ihr Magen die Bissen, die ihm zugedacht waren, sofort wieder herausbefördert
hatte. Wenn die Tibeter sagen, daß es eine Sünde an den Ortsgeistern sei, die
schlappen Karawanentiere zu schlachten und zu essen und die Strafe der Götter
dafür nicht ausbleibe, so beruht dieser Glaube auf der Erfahrung, daß der
Genuß solchen Fleisches schädlich wirken kann. Es waren die Lager in diesen
ersten Tagen des Februar, wo wir in über 4000 m Meereshöhe reisten und Nacht
um Nacht das Thermometer bis — 30 °, ja — 35 ° sank, nicht der Ort, genau
zu untersuchen, was die Ursache dieser Vergiftungserscheinungen war. Ich
habe nur so viel feststellen können, daß alle die Tiere, die in Tibet wegen Er-
schöpfung nicht mehr mitkamen, und die ich töten ligß, Ascites zeigten und
eine außerordentliche Ansammlung seröser Flüssigkeit in allen Muskelscheiden
aufwiesen, eine bei überanstrengten Tieren ja bekannte Erscheinung. Die
große Höhe, die das Wasser schon bei 84 ° sieden läßt, und das mangelhafte
Brennmaterial, das trotz des Blasebalgs dazu beiträgt, daß man alles Siede-
fleisch mehr roh als gekocht zu essen bekommt, hilft mit, daß schädliche
Stoffe und Krankheitserreger nicht abgetötet werden.
Am 2. Februar setzte unser täglicher Sturm erst um neun Uhr ein; er behielt
aber wieder für den ganzen Rest des Tages seine unverminderte Kraft. Es war
jedoch ausnehmend klar in den Höhen und der Nordwestgletscher und Gletscher-
bruch des Amne Matschen wurde trotz der großen Entfernung deutlich sicht-
bar. Am 3. Februar wütete der Sturm mit gleicher Kraft weiter. Das Fieber
schüttelte mich und meine Zähne klapperten im Fieber und in der Eiseskälte
des Sturms. Wir ritten über die Tossun nor-Ebene und am Ostende des Tossun
nor') vorbei, wo große Quellen offenes Wasser schafften, an denen endlich wieder
einmal die Tiere sich sattsaufen konnten. Hellgraue Wildgänse, die ein großes
Geschrei vollführten, umlagerten sie. Sie waren durch den großen Fischreichtum
hier festgehalten worden. Der See war nirgends glatt gefroren, seine Oberfläche
von Packeisblöcken bedeckt. ÍÍber die Ebenen fegten Sandhosen; wo im Sommer
grundloser Schlamm sich ausbreitet, peitschte heute der Flugsand die auf-
gesprungene Gesichtshaut. Der tägliche Sturm, der in der Regel elf Stunden
mit unverminderter Gewalt anhielt, brachte große Massen Staub und unten in
der Ebene von 4200 m war die Fernsicht sehr gering, wechselnd zwischen wenigen
hundert Metern und etwa 2 km. Wir hatten trotzdem nicht gewagt, am Dung
1) Der Tossun nor gehört zu den schönsten Seen des Hochlandes. Er erinnerte
mich an den Vierwaldstätter See. Freilich, kein Haus ladet an seinem Ufer zur Ein-
kehr ein, keine Tannenwälder, nur 2-3 m hohe Weidengebüsche ziehen sich an den
Ufern hin. Dung r e t sec) n a g (spr.: ner), „See der tausend Berge", heißen ihn die
Tibeter , weil ihn ringsum hohe Berge einschließen , die steil aus der dunklen Flut
heraussteigen. Es ist ein ertrunkenes Tal, das dem allgemeinen Streichen der Gebirgs-
falten folgt und früher vermutlich nach Osten, nach dem Tschürnong, sein Wasser
schickte. In jener Richtung wenigstens fand ich überall ungeheure Ansammlungen von
Geschieben, die alle Täler ausfüllten und verstopften. Seine größte Länge berechnete
ich auf 57 km, seine größte Breite auf 13 km. Das von Wasser bedeckte Areal beträgt
etwa 340 qkm. In früherer Zeit, als die Mongolen noch Herren waren, sollen sie hier
im Sommer ihre Yurten aufgestellt haben und wegen der fetten Weiden, die die Butter-
produktion begünstigten, erhielt er von ihnen den mongolischen Namen Tossun nor.
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