National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
Digital Archive of Toyo Bunko Rare Books

> > > >
Color New!IIIF Color HighRes Gray HighRes PDF   Japanese English
0162 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 162 (Color Image)

New!Citation Information

doi: 10.20676/00000264
Citation Format: Chicago | APA | Harvard | IEEE

OCR Text

 

 

t

Familien, die angeblich jüngeren Datums sind, keinen Feldbesitz im Tale ihr eigen nennen können und für die Weide meist hohen Pacht bezahlen müssen. Diese Hirten wohnen in schwarzen Zelten wie die der Nomadenstämme. S1e leben ganz wie echte Nomaden, doch fühlen sie sich nie so frei wie die ngGolokh oder die Banag-Leute und sind natürlich nie zu größeren Verbänden zusammengeschlossen wie die auf den zusammenhängenden Hochflächen. Die Seßhaften im Tale, die Besitzer der Äcker, die Adligen, bleiben immer die Machthaber, schon weil sie das Hauptnahrungsmittel, den Tsamba, besitzen und verhandeln. Kein Wunder, daß die Bauern um jede Fußbreite des kostbaren Landes immer aufs neue blutige Kämpfe miteinander führen!

Und kein Wunder, daß an diesen Plätzen eine Einrichtung besteht, die die Zerstückelung des Grundbesitzes grundsätzlich verhindert und auch einem allzu raschen Anwachsen der Familien entgegenwirkt. Es ist wohl möglich, daß die Sitte der Polyandrie ihren Ausgang davon nahm, daß die Zahl der Männer die der Frauen übertraf, daß sie also als ein notwendiges Übel begann, oder daß sie eine Spur eines alten, im übrigen heute aber nicht wieder zu erkennenden Mutterrechts darstellt. Heute ist sie jedenfalls in Kam von rein besitztechnischer Bedeutung. Es ist bezeichnend, daß die Polyandrie immer sich an einen Besitz knüpft, daß nie Männer zweier verschiedener Familien eine Frau zum Eheweib küren, daß vielmehr immer die Söhne einer Familie ein Mädchen zur Stammutter für die nächste Generation wählen.

Nur in den Familien, wo Töchter, jedoch keine Söhne am Leben sind, tritt der Fall ein, daß Männer von verschiedenen Familien die gleiche Frau besitzen, da dann häufig nicht bloß ein, sondern gleich zwei junge Männer adoptiert werden. Diese gelten in diesem Fall, falls sich die nachgeborenen Töchter nicht nach auswärts verheiratet haben, auch als deren Männer. Sie bilden zusammen eine Familie, d. h. sie haben einen Feuerherd, für den sie sorgen, den sie weitervererben. In der nächsten Generation wird man sicher wieder bloß eine Hausfrau erblicken und der gesamte Grundbesitz wird schließlich in der Hand von deren ältestem Sohne sein.

Die Polyandrie kommt in Osttibet in erster Linie bei den ackerbautreibenden Stämmen vor, bei den ng Golokh ist sie sehr selten , bei den Banag-Leuten besteht sie so gut wie nie, bei den unter chinesischen Einfluß geratenen Kin tschuan-Tibetern und denen von Ta tsien lu ist sie unbekannt. Dort herrscht Monogamie oder sogar Polygamie vor. Dagegen bildet sie wieder die Regel bei den Scharba-Bauern um Sung pan ting, wie sie auch im ganzen Sangpo-Brahmaputra-Tale und in der Provinz dBus (in Lhasa) und Tsang (Schiga tse) zu finden ist. Als die eigentliche Heimat der Polyandrie gilt immer die große tibetische Provinz K`am, wo ja auch die Tibeter am dichtesten sitzen.

Eheliche Treuebegriffe in unserem Sinne werden durch diese sonderbaren Familienverhältnisse selbstredend wenig gefördert, wobei ich jedoch nicht sagen möchte, daß sie gänzlich mangeln. Sehr oft aber haben die Brüder noch Liebschaften für sich allein, die man auch Ehen zur linken Hand nennen könnte. Derartige Frauen haben außerhalb der eigentlichen Familienwohnung, womöglich an einem ganz anderen Orte, ihr Heim, und die Kinder, die aus diesen Nebenehen entspringen, besitzen normalerweise, d. h. wenn Söhne aus der Hauptehe da sind, kein Anrecht auf das Familienerbe. Die polyandrisch verheiratete Ehefrau aber tröstet sich über die Seitensprünge ihrer Ehemänner

124