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0163 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 163 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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wie jene Königin von Frankreich, die zu ihrem Gemahl sagte: „Moi je puis faire sans vous un dauphin; vous sans moi vous ne pouvez faire qu'un bâtard." Das tibetische Familienleben ist auf den Kult des Familienherdfeuers und auf die hierzu notwendige Weiterführung der Familie aufgebaut. Das erste Gesetz ist, daß die Familie nicht ausstirbt, daß das Herdfeuer und sein Gott und alle Manen gepflegt werden. Zu diesem Zwecke ist die Ehefrau auch in tibetischen Augen notwendig und achtenswert.

r-14   Die Stellung der polyandrisch verheirateten Frauen ist — vollends in

größeren und begüterten Häusern — immer eine sehr respektable. Eine solche Frau vereinigt als Familienmutter in ihrer einen Person mehr Befehlsgewalt als irgend einer ihrer Ehemänner. Stellen doch alle Brüder zusammen, und wenn ihrer noch so viele sind, nur eine Ehehälfte vor und sie allein die andere.

it   Die tibetischen Herrinnen sind darum auch ungemein stolz auf ihre Stellung.

Nichts wird ohne ihr Mitwissen und ihre Genehmigung abgegeben und veräußert. Oft fand ich unter diesen Frauen zu meinem Staunen gute Kenntnisse im Lesen und Schreiben, was in dem Lande, das sich sonst noch im grauesten Mittelalter befindet, als ein neuer Beweis der Frauenmacht anzusehen ist.

Freilich, die Frau an sich ist in Tibet ebenso gering geachtet wie z. B. in China.

Sie ist auch hier der Mensch, der das Unglück heraufbeschwört, sie ist es, die die Gottheiten erzürnt, sie nimmt die Treffkraft von den Waffen, wenn sie vor einem Kampfe sie berührt. Nie darf in K`am eine Frau ein fremdes Haus und vollends einen Küchenraum einer fremden Familie betreten. Die Angst, die Familiengötter und den Herdplatz zu verunreinigen, zwingt jedes Mädchen vom zwölften Jahre an, das zu einer anderen Familie kommt, draußen vor der Türe zu bleiben und die Bewohner herauszurufen. In manchen Gegenden dürfen selbst die Mägde einer Familie nie die Küche und das Kochzelt der Familie betreten. Meist kocht die Frau zur Zeit der Regel aus religiösen Bedenken auch in ihrem eigenen Haushalt nicht 1). Wenn sich eine polyandrische Ehe unfruchtbar erweist, so wählt der älteste Bruder eine zweite Frau, ohne

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1) Der Tibeter hat einen „tab lha" (d. h. einen Herdgott) an seinem Kochplatz wohnen, der dem tscao ye oder ts`ao schen der Chinesen entspricht, dieser fährt bekanntlich wenige Tage vor Chinesisch-Neujahr durch den Rauchfang gen Himmel, um über die Aufführung der Familie im verflossenen Jahre zu berichten. Bei beiden Völkern herrschen dieselben religiösen (alt-tao-istischen bzw. bönbo-istischen) Grundvorstellungen, auf die der Buddhismus als neue und fremde Lehre aufgepflanzt ist. Wie aber der Chinese in seinem Buddhismus viel laxer als der Tibeter denkt , so behandelt er auch seinen Herdgott schlechter. Der Herd ist im chinesischen Hause längst in ein Seitengebäude gewandert. Man hat den Herdgott zum Küchengott gemacht und ihn auf Papier gedruckt und sein Bild neben den Herd an die Wand geklebt , während in Tibet der Herdraum noch den Versammlungsplatz der Familie bildet und der Herd und das Feuer selbst als den Gott enthaltend gedacht wird. Der „tab lha" braucht darum auch nicht abgebildet zu werden, er wohnt unsichtbar im Herde. Deshalb darf man in Tibet auch nicht mit Stiefeln an den Herd kommen, darf nicht etwa seine nassen Stiefel zum Trocknen auf den Herd stellen. Wenn Suppe oder Milch überkocht und den Herd beschmutzt, muß man den Gott um Verzeihung bitten und das Feuerloch erneuern. Neben dem Herd aber ist in der Wand eine Höhlung im Lehm, worein die Hausfrau vor jeder Mahlzeit eine Libation für ihren „tab lha" wirft. Schon dadurch, daß der „tab lha" ohne Bild und ohne Schrein auskommt, zeigt er meines Dafürhaltens seine alte vorbuddhistische Natur. Er ist eine echte , alte Bönbo-Gottheit; die alten Bönbo-Götter hatten alle noch keine Abbildungen.

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