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Meine Tibetreise : vol.2 |
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kommneten mich sechs Schen si-Chinesen, Kaufleute, die der Moschushandel
hierher verschlagen hatte. Man begrüßte sich wie Landsleute, wie Europäer,
die sich weit im Inneren Chinas begegneten. Die Chinesen sprachen mit der
höchsten Verachtung von dem wilden dummen Barbarenvolk, in das uns
das Schicksal geführt habe , und waren begierig , etwas von der Welt
draußen, von China, von Hsi fling bis hinab nach dem Kulturplatz Peking und
Schang hai zu hören. Sie blieben etwa zwei Stunden und man gelobte sich, im
Bedarfsfalle einander beizustehen. Alle sechs Chinesen trugen für den Besuch
das kleine schwarze Chinesenkäppchen mit dem roten Schnurknopf auf dem
Scheitel, auch hatten sie ihre blauen langen Baumwollkleider aus den Kisten
geholt. Und nicht mit leeren Händen waren sie gekommen. Ihrem Besuche
sandten sie ihre roten Visitenkarten voraus und jeder händigte mir nach der
Begrüßung und Vorstellung ein Päckchen Yün nan-Zucker aus. Es waren
zumeist intelligente und nicht engsichtige Leute, die schon vieles durchgemacht
hatten. Unsere Unterhaltung war darum recht angeregt, so daß es, bis sie
sich auf den Heimweg begaben, dunkel geworden war. Als ich dann auf die
Dachterrasse vor meiner Wohnung hinaustrat, stieg da und dort, vom Mond-
licht beleuchtet, eine Rauchsäule senkrecht gen Himmel, ein still glimmendes,
wohlriechendes Rauchopfer für die Götter schwelte auf den Dachaltären; die
wirren Gassen zu meinen Füßen aber, die den Berghang hinabstiegen, waren
schon alle leer und nirgend war mehr ein helles Licht zu sehen. Vom Kloster
drüben auf dem Berg schmetterten Hörner schwermütige Töne durchs Tal.
Aus den Nachbarhäusern vernahm ich lange die Abendandacht der Bauern,
Männerbaß vermischt mit sonoren Frauenstimmen, forte bald, bald piano und
leise verklingend. Eine tief religiöse und zugleich melancholische Stimmung
wollte sich in jedes Herz schleichen. — Nach der Andacht legen sich Dscherku
ndos Bewohner bald zum Schlafen nieder. Sie erheben sich auch mit der Sonne
und beginnen ihren Tag , indem sie harzige Wacholderzweigchen in ihrem
Weihrauchöfchen entzünden.
Das Dorf oder die „Stadt" Dscherku ndo (tibet. geschrieb.: Gye rgu ndo) ist
eine Hauptetappe auf der großen Karawanenstraße, die von Ta tsien lu in einem
nach Norden ausholenden Bogen westwärts in den tibetischen Kirchenstaat Lhasa
führt und bis wenige Tagereisen vor ihrem Ziel durch Gebiete geht, die mit der
Lhasa-Regierung nichts zu tun haben wollen. Täglich sah ich auf dieser Straße
große Yakhaufen verkehren, die von Osten her chinesischen Tee, Reis, Zucker,
Seide, Baumwollstoffe, Anilinfarben und eine Menge kleiner Chinawaren, wie
Porzellanschalen, Kochgeschirre u. dgl., herbeischleppten 1). Vom Westen kamen
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1) Der Gesamtwert des Handels auf dem Wege von Osten her beträgt jährlich etwa 550 000 Mark, hiervon kommen mehr als zwei Drittel auf den Tee. Ich fand drei verschiedene Arten Tee, die aber der Transportkosten wegen nicht sehr verschieden im Preise standen. Je eine halbe Yaklast (40 cättie) war in ein Stück roher Yakhaut gepreßt und genäht. Die Teemenge, die während meines Besuches täglich an Dscherku vorbeigetragen wurde, berechnete ich auf 4000 bis 5000 kg, wozu 70 bis 80 Ochsen nötig sind. Dabei ließ ich mir erzählen, daß wegen des Krieges bei Li tang der Handel mit Se tschuan sehr darniederliege. Se tschuan-Reis war nur in geringer Menge angekommen und kostete 19 bis 20 Rupien die halbe Last (= 40 cättie), während dasselbe Gewicht Kan tschou-Reis, der aus Kan su über Hsi ning gebracht wird, nur 15 Rupien kostete. Brauner Zucker kostete eine Rupie das Pfund. Er wird aus Se tschuan und Yün nan hierher gebracht. Auch Salz ist ziemlich teuer • an seiner Statt wird vielfach Salpeter
in den Tee geworfen.
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