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0187 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 187 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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Pilgerweg zehn Minuten, um einmal das Heiligtum zu umkreisen. An einigen

Stellen der Mauer sind Nischen, in denen besonders schöne, bunt und sorgsam

ausgeführte Heiligenbilder aus Stein zwischen flatternden Lappen aufgestellt

worden sind, die Mehrzahl der Steine aber liegt horizontal, so daß man die

Schrift nicht mehr lesen kann. Die Heiligkeit und Kraft dieses „Mani" liegt in

der gehäuften Masse frommer Sprüche und Bilder. Jeder, der ein Silberstück

übrig hat, jeder Kaufmann , jeder Vorüberreisende kauft einige neue Stein-

platten von den Dörflern, die sie mit ihren primitiven Meißeln aus dem

harten Kalkstein hauen, und fügt sie mit einem Ko tou zu den früheren. Der

Platzgeist wird sich ihm sicher dankbar zeigen und ihn vor manchem Schaden

bewahren; eine schützende Emanation, die von diesen Fetischsteinen ausgeht,

begleitet auch alle diejenigen, die betend und in der richtigen Richtung die

Umkreisung ausgeführt haben.

Zu der Messe hatte sich eine große Zahl Bettler eingefunden. Die einen, die

Blinden, machten durch Trompeten, die aus menschlichen Tibien und anderen

Röhrenknochen gefertigt waren, und durch Trommeln aus Menschenschädeln

auf sich aufmerksam, die anderen saßen, ihren Aussatz oder Lupus, ihre greu-

lichsten Hautdefekte entblößend, am Wege. Vielen fehlte die Nase; gegen Staub

und Wind hatten sie sich darum ein Leder vor ihre Choanen vorgebunden. Dem

hatte eine gestrenge Obrigkeit die Finger oder die ganze Hand abgeschnitten,

und von dem oder jenen der erbarmungswürdigen Krüppel erfuhr ich, daß seine

Heimat im Lhasa- Gebiet und daß er von dort wegen eines Vergehens verbannt sei.

Auf der Messe sah ich die große Tsawu-Inkarnation, die mit einem üppigen

Stab von Klosterleuten gekommen war, sich von seinem Volk anbeten zu lassen.

Endlich bekam ich einen Menschen zu Gesicht, der sich doch manchmal wenigstens

zu waschen schien ; darum kam er mir wohl erstaunlich hellhäutig vor. Im

Hauptraum eines der niedrigen Häuser des Dorfes wurde ich mit dem Lo ts`a

zusammen in Audienz empfangen; meine Diener mußten im Hofe eines anderen

Hauses warten. Umgeben von seinen Gelong thronte er „unregsam" auf hohen

Kissen in malerischer Pracht, beengt von Symbolen, brennendem Weihrauch

und gefüllten Opferschalen. Er trug die gewöhnliche dunkelrote Mönchskleidung,

nur war seine Kopfbedeckung von roter und nicht von gelber Farbe. Mich per-

sönlich anzureden dünkte ihm wohl zu herablassend. Einer der Mönche mußte

alle Worte, die mir zugedacht waren, wiederholen. Durch diesen wurde ich seiner

großen Ergebenheit für den Amban und die Befehle ,on Peking versichert.

Bezüglich meiner Weiterreise bekam ich leider nur ausweichende Antworten.

Auf meine Bitte um Führer wollte er zuerst den König befragen, der — wie der

Mönch sagte — auf das erste Gerücht von meinem Kommen Soldaten auf-

geboten hatte, um mich nach Norden zurückzubringen. Mein Geschenk, eine

Weckuhr, wurde mit einem halbgetrockneten, im Herbst geschlachteten Schaf

und mit einem Beutel voll Tsamba erwidert.

Von diesem Ausflug zurückgekehrt, suchte ich sogleich meine Weiterreise

anzutreten. Aber nirgends ließen sich Führer finden. Jeder, der ortskundig

schien, erklärte, daß ihm sein Leben und seine Glieder zu lieb seien. Alle be-

haupteten nacheinander, daß derjenige, der einem Fremden helfe, geblendet

würde. Als ich dem Tsawu Be hu in seinem Kloster oben einen Besuch machen

wollte, fand ich schon auf dem Wege eine Menge junger Mönche, die mich mit

Steinwürfen empfingen und fest entschlossen waren, mich nicht lebend in ihr

   

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