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0194 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 194 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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7.

weit bekannten Lama im Deda-Land, der sich von der Welt zurückgezogen

und in einer Höhle hatte einmauern lassen. Lange Schnüre mit Wollflöckchen

daran, Tausende von bedruckten Wimpeln, im Winde tanzende Schafkiefer,

klappernde Pferdekinnbacken, Steine und Felsen, alles über und über mit

Sprüchen bedruckt und beschrieben, wiesen uns einen steilen Pfad hinauf zu

einer Grotte und zu einer PTauer, hinter der der sonderbare Heilige wohnte.

Einige Weiber waren vor uns schon angekommen und belagerten im dunklen

Hintergrund der Grotte eine verschlossene Luke. Sie hatten Butter und Tsamba

mitgebracht, die sie ihrem Einsiedler zugedacht hatten. Spinnend saßen sie

an der Erde und wiederholten ihre Gebetsformel halblaut singend vor sich hin.

Eine hatte ihr Ohr an den Laden der Luke gedrückt und horchte mit gottes-

fürchtigem Blick auf einen hohl und gespenstig tönenden Gesang , der aus

dem Inneren, von Zeit zu Zeit etwas anschwellend, zu uns herausdrang. „Seit

zwei Tagen," erzählten die Weiber, „hat der Lama nicht mehr den Laden ge-

öffnet. Heute wird er wohl aufmachen." Klopfen nützte aber auch heute nichts

und wir mußten uns mit den Weibern zusammen lange Stunden gedulden.

Schon besprach ich etwas ärgerlich die Umkehr, als doch endlich der Bohlen-

laden aufklappte und, die ganze winzige Öffnung ausfüllend, ein fahler Kopf

erschien. Verfilzte lange, weißliche Haare umrahmten ein verhutzeltes Aszeten-

gesicht, in dem mit schwarzem Schmutz tiefe Rillen und Furchen auf Stirn

und Wangen dick verklebt waren. Tiefliegende hohle Augen schienen einen

Augenblick gierig nach dem Licht und dem Leben zu lechzen, dann verschwand

das grausige Bild des Halbtodes und machte einer noch dürreren Knochenhand

Platz, die zitternd nach den dargebrachten Gaben griff. Muffige Kellerluft

und schlechte Ausdünstungen drangen aus dem Inneren, in dem ein Butter-

lampendocht schwelte.

Des einen Weibes Kind war erkrankt. „Wird mein Sohn wieder gesund

werden?" fragte sie. Langsam brachte der Greis neun grüne Würfel auf den

Fenstersims und übergab die Frage dem Schicksal der Würfel.

„Du mußt die Dschoma (sGrolma) im Kloster Tschuschi bitten," war die

Antwort.

„Werde ich mein Pferd gut verkaufen, wenn ich es morgen verkaufe?" fragte

die zweite. „Nützt es mir, wenn ich eine Wallfahrt nach Taschi gomba mache?"

meinte eine dritte.

Meinen Begleitern, die seinen Segen verlangten, versprach der Anachoret

eine gute Heimkehr und Reichtum, wenn sie sich mit den Göttern gut stellten.

Dann klappte der Laden, so plötzlich wie er aufgegangen war, wieder zu, und

gleich ging das Rezitieren weiter. In jungen Jahren hatte dieser Scholastiker

in Luft und Licht seine theologische Philosophie durchaus studiert, mit heißem

Bemühen. Jetzt war er von allem Weltlichen abgeschlossen, jetzt wiederholte

er, was er draußen gelernt und drang bis auf den Grund der Dinge ein, keiner

konnte ihn mehr in seiner Meditation stören ; er mußte bei der nächsten

Geburt in einer besseren Welt wiedergeboren werden.

Ein anderer Klausner oder „Tschamba" Lama wohnte im Westen von Dscherku ndo. Der hatte sich nicht vermauern lassen, war aber wegen seines großen Wissens nicht weniger angesehen. Er war „Gechi", ja er hatte nach langem Studieren noch andere höhere Doktorgrade der lamaistischen Philosophie und Theologie in den Klöstern von Lhasa erhalten. Er war darum der Stolz der Familie geworden und seine Verwandten hatten ihm etwas abseits von der Straße ein Häuschen errichtet. Jedermann, der dort

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