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Meine Tibetreise : vol.2 |
in den Raum, wo mir der Sekretär Quartier besorgt hatte. In der Erinnerung
an das Ungemach der letzten Monate machte es mir ein großes Vergnügen,
die Augendiener jetzt wenigstens mein ganzes Körpergewicht fühlen zu lassen.
Keiner wagte darüber zu stöhnen.
Auch in Gendu sind die Bauernhöfe mehrstockig. Zwischen den Holzstützen
des Erdgeschosses werden die Tiere festgebunden. Im zweiten Stock liegen die
Wohngelasse, im dritten die luftigen Vorratsräume für Stroh und Kuhdung, sowie
den Imponderabilien ihrer Religion. Auch werden Erbsen und Körnerfrüchte
dort oben aufbewahrt. Die lehmgestampften ebenen Dächer dienen als Tennen,
auf denen mit Dreschflegeln die Frucht ausgedroschen wird. Seit Ka ts`a sah
ich die Bauern an jedem windigen Tage auf ihren Dächern ihre Körnerfrüchte
reinigen. Sie schütteten sie aus Körben auf ihre Dachtenne und überließen es
dem Winde, die Spreu fortzuschaffen, eine Arbeit, die nicht anstrengend, sondern
für faule Leute geschaffen ist. Daher besorgten sie auch mit Vorliebe die
tibetischen Männer.
Das Quartier zu Gendu hatte auch wieder einen viereckigen und offenen
Lichthof in der Mitte des Hauses. Nach ihm zu sahen im ersten Stock Veranden
aus Holz, von denen man in die Zimmer gelangt. Nach außen hatte man Fenster-
öffnungen möglichst vermieden, so daß das Haus gleichzeitig eine kleine Festung
vorstellte. Die Bauart erinnerte mich lebhaft an meine früheren Erlebnisse
und Abenteuer in den albanesischen Hausburgen.
Der Kult der Götter und Geister nimmt auch in Gendu einen sehr breiten
Raum ein. Neben kleinen Weihrauchöfchen, die sich einzelne Knechte und
die Kinder gebaut hatten, stand auf der Veranda vor meinem Zimmer ein großer
Lehmofen, in der Form an eine Tope erinnernd, in dem ein alter Hauslama
Wacholder brannte (Tafel XL). Auf dem Dache flatterten Gebetsfahnen
an vielen Masten. Über dem Hauseingang hingen die Symbole und Zeichen
der großen lamaistischen Schutzgeister, grinste die Fratze einer scheußlichen
Lhamo, pendelten im Winde Lanzenspitzen und Dolche, Bannsprüche, mit
Stroh vollgestopfte Bälge von Hasen, Wildschweinen und Wildhühnern. Auf
der Treppe wie am Eingang hingen und standen Stein- und Holzplatten mit
eingekratzten Gebeten. Gebetmühlen von 1 m Höhe zogen sich am Treppen-
geländer entlang, die jeder in Schwung brachte, der hier auf- und abstieg. In
den spinnweberfüllten Nischen standen da und dort große Lehm-Ts` ats` a und
in den pechschwarzen Ecken baumelten mit Gebeten beschriebene Kinnbacken
und von alten treuen Haustieren ausgeraufte Mähnenhaare.
Die Straße unterhalb Gendu führte an der Mündung noch mancher großen
Waldschlucht vorüber und viele klare Bäche sprudelten über meinen Weg.
Die Mühlen im Grunde der Schluchten, die Fichtenhochwälder, die Felskuppen,
die Wiesen und Weiden riefen das Bild friedlicher Schweizer Alpenlandschaften
hervor. Am Ausgang des Chia tschü-Tales aber lagen die noch frischen Ruinen
des früheren Adelssitzes und Dorfes Dendu. Brach und öde umstanden die
einstigen Felder die geborstenen Steintürme. Den Brandruß des Eroberungs-
tages hatten die Regengüsse noch nicht wegwaschen können. „Hier saß der
Lalin Tu se 1)," erklärte mit devoter Stimme der einsilbige Ya men-Sekretär.
„Wir haben ihn im Tschanggu-Kloster geköpft. Er war ein schlimmer Rebell."
1) (2) Lalin tschung , vielleicht Rockhills Nalintschung ; es soll ein Beamter des Dalai Lama' Dewa schung gewesen sein.
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