National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
Digital Archive of Toyo Bunko Rare Books

> > > >
Color New!IIIF Color HighRes Gray HighRes PDF   Japanese English
0245 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 245 (Color Image)

New!Citation Information

doi: 10.20676/00000264
Citation Format: Chicago | APA | Harvard | IEEE

OCR Text

 

 

OEN

~r.

Der „große alte Herr" war ein stattlicher schlanker Mann mit energischen und intelligenten Zügen und klugen Äugchen. Seine fahlgelbe Haut stach grell von dem frischen Braun seiner Knechte ab. Er war einer der modernen Beamten Chinas, einer der Neuzeit, die eben dämmerte, aber er hielt sich doch auch an die alte Sitte und ging deshalb ganz selten aus. Meist zog er nur von seiner Burg aus wie eine Spinne an den verschiedenen Fäden seines Regierungssystems. Er war ein Hankow-Mann und erst zwei Jahre bier. In dieser kurzen Spanne Zeit hatte er es verstanden, mit einem Gefolge von nur fünfzehn chinesischen Angestellten in einem Gebiet so groß wie eine preußische Provinz und so unruhig, wie man es sich nur ausdenken kann, Ruhe und Ordnung einkehren zu lassen und es seinen Landsleuten zu ermöglichen, darin der friedlichen Beschäftigung als Ackersleute nachzugehen. Geht er einmal aus, so ducken sich alle Tibeter, steigen von ihren Pferden und nehmen die Mütze ab wie vor einem heiligen Lama. So etwas haben die Hsi hing-Leute, die so sehr stolz auf sich sind und sich für Helden halten, nie erreicht. Bis nach Dergi bringen seine Soldaten die Befehle , j a er schlichtet Prozesse zwischen Tibetern bis hinauf nach Tschoktsen und bis in die vom Hsi ninger Amban angeblich beherrschten Gebiete.

Ansprechend, in barscher und doch liebenswürdiger Kürze, begrüßte mich der Mandarin. Er schien als Vertreter Chinas aufrichtig froh zu sein, mich mit heilen Knochen diesseits des Tibeterlandes zu wissen, und ließ deutlich durchblicken, daß, soweit er in Frage komme, kein Europäer an ihm vorbei nach Tibet hineingelange.

Wir sprachen noch miteinander und der aufmerksame Hausherr bot eigenhändig warme und süße Kakes an, als einige Tibeter meine Kisten und Säcke an der Zimmertüre abstellten. Ich wollte mich entschuldigen, daß die Leute aus Versehen meine Sachen in sein Haus getragen hätten, er schnitt mir aber kurz das Wort ab und sagte : „Es sind dies meine Knechte und sie handeln nach meinem Befehl." Mit einer Kommandostimme, die mir plötzlich den Ru da lao ye von Kue de ting und das Schicksal Kapitän Watts-Jones' ins Gedächtnis rief, donnerte er mich an: „Du bist mein Gast. Es gibt keinen anderen Platz für dich als ein Zimmer in meiner Burg (tsch` ai tse)." Ich war so erschrocken, daß ich mich zuerst nur vorsichtig danach zu erkundigen wagte, ob in China Friede sei und wie es um das Verhältnis zwischen Europäern und Chinesen stünde.

Wu war aber ein vorzüglicher Gastgeber. Solange ich in seinem Hause wohnte, durften meine Diener nicht für mich kochen. Er lud mich persönlich jeden Morgen und Nachmittag zu seinen zwei Mahlzeiten ein, und drei Tage lang ließ er mich nicht weiterreisen. Als er von meinem Pech beim Übergang über den Dsa tschü erfahren hatte, sandte er Eilboten aus, die noch einmal nach meinen Sachen suchen sollten.

Ich hatte ein großes Zimmer erhalten. Kaum saß ich dort an einem nicht sehr wackeligen Tisch und hoffte, in Ruhe und Frieden arbeiten zu können, da huschte der erste Besuch herein. Die zwei frischen Söhnchen des Mandarins, Jungens von sechs und acht Jahren, hatten wie europäische Knaben mich als interessanten Onkel aufs Korn genommen und legten bis zum letzten Augenblick auf mich Beschlag. Der eine brachte schon das zweite Mal sein Lieblingsspielzeug, einen alten knurrigen Affen, mit, der mit seinen losen Streichen meine

191