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0246 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 246 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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Stube nicht ruhiger machte. Die Tibeter hatten ihm den Schwanz abgehackt, was ihn klüger machen sollte. Selbst das Kindermädchen kam mit dem jüngsten Sprößling herbeigeeilt, und sehr bald erschienen auch die Mütter der Kleinen, sechs trippelnde und dick weiß bemalte Chinesinnen mit dreizölligen Lilienfüßen, die der Mandarin aus seiner fernen Heimat Hu pe mit hierhergenommen

hatte.

Auch nachts war nicht viel Ruhe in der Burg. Durch eine dünne Bretterwand von mir getrennt saßen in der nächsten Stube die Soldaten auf Wache und rührten von Schlag neun Uhr an die Wachtrommel. Zu meinem Glück hatte diese ein großes Loch und dröhnte nur dumpf. Alle Stunden etwa wurde ein Schuß abgegeben, der mich unerbittlich aufschreckte. Hatte man sich schließlich an diesen Lärm gewöhnt und lag im süßesten Morgenschlummer, dann begann mit Sonnenaufgang die Chinesenschule gerade gegenüber über dem Innenhof. Dreißig Abcschützen, Chinesen- und Tibeterkinder, lernten dort chinesisches Schreiben und Lesen. Hinten an der Wand war der Katheder des Lehrers, und vor ihm, den Rücken ihm zu und das Gesicht gegen die Türe und damit gegen mich gerichtet, saßen auf niederen Bänken seine Zöglinge und brüllten die alten Weisheitssprüche des Konfuzius und der anderen großen Philosophen des Altertums aus ihren Fibeln in den Hof hinaus. Der Lehrer gab von hinten acht, daß jeder Schüler brüllte. „Brüllt er nicht, so lernt er nicht, sondern schwatzt oder treibt sonstwie Allotria".

Den Unterhalt dieser Schule bestreitet der Mandarin. Die Kinder wohnen und essen in der Burg und bringen nur ihre Bettdecke und im Winter ein Kohlenbecken von Hause mit. „Der Unterricht geht nach der neuen westländischen Manier," sagte mir der Lehrer. Alle Stunden wurde er kurz unterbrochen und täglich gab's Freiübungen. Wenn der Lehrer den Unterricht beginnen oder unterbrechen wollte, so trommelte er auf einem ausgehöhlten Baumstamm, just wie ein Südseeinsulaner.

Der Mandarin mußte auch das Saatkorn an die chinesischen Einwanderer ausgeben; und weil die letzten Jahre schlechte Ernten geliefert hatten, so hatte er aus Dawo und Romi Tschanggu Tsamba und aus der Stadt Ya tschou Reis kommen lassen müssen 1). Alle Kolonisten wären sonst längst wieder nach China heimgekehrt. Die hiesige Kolonisation geht ungleich der in der Mongolei von der Regierung aus. Hundert Familien waren vor wenigen Jahren hier angesiedelt worden, hatten Grund und Boden neben freier Saat, Schule für

die Kinder und vollkommener Steuerfreiheit für die ersten Jahre erhalten, und doch waren die Verhältnisse so ungünstig, daß schon mehr als die Hälfte

wieder zurückgewandert und nur noch vierzig Chinesenfamilien geblieben waren.

Der Mandarin erhebt von den tibetischen Familien neben freien Fuhren (Ula) und Heerfolge noch 2,5 Candareen (Taelcents) im Jahr. Seine Einkünfte

sind darum gering, und Wu da lao ye klagte während jeder Mahlzeit zum Reiswein und Reis, daß er bei diesem Amt viel zulegen müsse (angeblich 2000 Tael

jährlich).

Der Saal, worin der erste Empfang stattgefunden hatte, war auch unser Speisesaal, wo dem Mandarin, seinem ersten Sekretär, dem Herrn Lehrer und

1) Der Preis für Gerste war in Tschanggu genau fünfzehnmal so groß wie in Hsi ning fu.

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