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0271 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 271 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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die Grundlagen der Karten gebildet und beim näheren Zusehen zeigten sich die Gebirge zwischen den großen Flüssen nach Gutdünken der Kartographen aufgetragen. Wenige Fragen bei ortskundigen Eingeborenen genügten, um festzustellen, daß in bezug auf Orts- und Stammesnamen auf allen Karten große Unsicherheit, um nicht zu sagen, Verwirrung herrschte, und daß eine Reise dorthin mich rasch in terra incognita bringen werde. Der Wunsch, diese Gegenden noch zum Schlusse zu besuchen , wurde immer lebhafter und lebhafter. Erst nach meiner Expedition haben einige englische Missionare und vor allem der unglückliche Leutnant Brooke 1) auch diese Gegenden durchstreift und in der Folge darüber berichtet 2). Zu meiner Zeit war in den Missionen in Ta tsien lu von dem Lande im Norden der Stadt nur bekannt, daß man es „Kin tschuan" heiße, daß das „Kin tschuan" , die „Täler der Goldflüsse", wegen seiner tiefen Schluchten äußerst mühsam zu bereisen sei und daß dort eine besondere Sprache gesprochen werde, die weder chinesisch noch tibetisch sei. Der letztere Umstand war wohl auch die Ursache, daß noch keiner der Missionare in j ener Richtung vorgedrungen war. Auch kommerziell schien wenig Verbindung zwischen Ta tsien lu und Kin tschuan zu bestehen. Das Interesse der Stadt ist zum weit überwiegenden Teil auf die große Straße Li tang — Ba tang gerichtet, worauf der Tee, das Heer der Pilger, die Soldateska und die Kuriere entlang laufen.

Aus mündlichen Äußerungen wie auch aus Briefen Richthofens konnte ich ferner entnehmen, daß dieser große Gelehrte und Forscher bis zu seinem Tode annahm, daß gerade in den Gegenden im Norden von Ta tsien lu die allerwildesten und höchsten Bergmassen sich befänden : entstanden durch den Zusammenprall von Kuen lun-, hinterindischen und sinischen Gebirgsmassen. Auf meinem bisherigen Wege hatte ich nun stets ein NW—SO streichendes Schichtensystem (also im Sinne des Kuen lun) gefunden, und erst dicht bei Ta tsien lu, im Bogungga und Lhamortse, war ich auf Gebirgskörper gestoßen, die N 15 ° 0 ziehen und mit starren Granitwällen die Kuen lun-Faltenzüge nach Süden abgedrängt zu haben schienen. Die Vermutung von Richthofen schien daher auch mir immerhin noch möglich. Jedenfalls vereinigte sich alles, um mich unwiderstehlich in die Gebirgswelt von „Kin tschuan", d. h. ins „Goldflußland" zu ziehen.

Als aber meine Hsi ning-Mannscbaft erfuhr, daß ich eine neue Kampagne in ihr perhorresziertes Tibeterland unternehmen wolle, da schüttelten sie sich, als ob eine gewaltige Gänsehaut sie überriesle. Mit glühendsten Farben malten sie mir alle Herrlichkeiten und lukullischen Genüsse der Großstadt Tscheng tu fu an die Wand. Ich sollte ums Himmels willen doch mit ihnen in die Ebene gehen. Für alle Hsi ning- und Lan tschou-Leute ist die Umgebung von Tscheng tu fu das gelobte Land, das freilich die wenigsten von ihnen j e einmal zu Gesicht bekommen. Als ich mich standhaft zeigte und meine Begleiter einsahen, daß ich mich nicht überzeugen ließ, wurde ich um Lösung der Kontrakte gebeten. Um keinen Preis wollten sie sich den Schrecken einer neuen Tibetreise unterziehen. Ich war genötigt, neues Personal anzuwerben. Und wieder gab es selbstverständlich Chinesen in Hülle und Fülle, die ihre Dienste anboten. Bald stellte sich täglich ein Dutzend neuer Kandidaten bei mir vor. Alle aber verstanden keinen tibetischen Dialekt. Es waren Bauernsöhne oder Kuli vom

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  1. s. S. 83.

  2. Fergusson, Adventure, sport and travel on the Tibetan steppes. London 1911.

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