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Meine Tibetreise : vol.2 |
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Auf einer verfaulten und windschiefen Auslegerbrücke muß man noch einmal
einen engen Felsgraben überschreiten, den der Fluß durchtost, dann steigt man
auf dem linken Ufer kurz, aber steil schier 100 m auf eine Felsterasse hinauf
und hat Hsin gai tse, den Marktvorort von Mu gung ting, erreicht. Hsin gai tse
mit seinen 6000-7000 Einwohnern besitzt keine Mauer. Dazu hat es noch nicht
gereicht. Die Siedlung ist noch zu neu. Schon der Name Hsin gai tse = neues
Marktsträßchen sagt ja, daß die Chinesen sich hier noch nicht sehr lange —
wenig über 100 Jahre — festgesetzt haben. Die Eingeborenen nennen den
Platz Meino oder Meno und schon frühe spielte er eine große Rolle. Acht
Minuten weiter im Osten, scharf davon getrennt, liegt der Ya men-Platz Mu gung.
Der Bezirksbeamte der Täler des kleinen und großen Goldflußlandes, der Mu
gung ting, hat daselbst seinen Amtssitz. Wenige Häuser nur und ein Hotel
für die verschiedenen Schu be und Tsien tsung, d. h. die Bezirkshauptleute,
stehen hier auf einem felsigen Rücken hoch über dem Fluß beisammen. Man
sieht von dieser Stelle aus tief in Täler und Schluchten hinein, sieht noch etwas
weiter östlich im Tale unten den Ort Ying pan gai oder Ying gai, die Lagerstraße
mit dem Ya men des höchsten Militärkommandanten der Gegend (Tafel LIII),
sieht gegen Senggersung hinab, sieht auch den Lauf des Ying gai-Tales aufwärts
und einer Straße entlang, die nach Süden, nach dem Sitz des Tu se oder
rgyalbo von Mu ping (tib. : Dschumba) führt, d. h. zu dem eingeborenen
König, der unter allen tibetischen Adligen und weltlichen Herrschern den
höchsten chinesischen Titel bekommen hat. Er ist dafür einer, in dessen
Reich die Chinesen am intensivsten und am tiefsten eingedrungen sind und
der der nächste an der Reihe ist, ein „Johann ohne Land" zu werden und den
Chinesen ganz das Feld zu räumen.
Es hat seine guten Gründe, da (3 gerade in Hsin gai, Mu gung und Ying gai
die Chinesen sich in größerer Zahl ansässig gemacht und hierher das Zentrum
der Verwaltung verlegt haben. Nirgends weit und breit ist die gleiche Möglich-
keit für eine kopfreiche Siedlung gegeben. Seitdem ich Hor Gantse verlassen,
hatte ich nirgends mehr so viele und so dicht beieinanderliegende Äcker an-
getroffen. 50 und 100 m über dem eng zwischen Felswände eingekeilten Fluß
erbreitert sich das Tal zu Terrassen (Tafel LXII), die ausgiebigen Anbau speziell
von Mais und auch von Weizen, Bohnen und Buchweizen gestatten 1).
Der Mu gung ör fu ting ist der Verwalter und Richter der sogenannten
westlichen Miao tse-Länder, die erst nach zwei großen und blutigen Kriegen
in den Jahren 1747-1749, vor allem entscheidend und endgültig in den Jahren
zwischen 1771 und 1776 von dem Mandschu-Kaiser Kien lung niedergerungen
und unterworfen wurden und erst seither in das chinesische Verwaltungssystem
eingegliedert und der chinesischen Kolonisation und Volksüberschwemmung
geöffnet worden sind 2). Der Verwaltungsbezirk des Mu gung ting ist sehr aus-
Mais bildet die hauptsächliche Nahrung der Bewohner. Zur Zeit meines Be-
suches stellte sich der Preis von 1 cättie = 600 g, nach dem damaligen Kurswert be-
rechnet, auf 7 Pfennig, während in Ta tsien lu für ein cättie 25 Pfennig zu bezahlen
waren und kurz darauf die Preise von Ta tsien lu ständig weiterstiegen. Freilich hat
Ta tsien lu fast alle seine Lebensmittel vom Tiefland heraufzuholen, ja manches wird
auf Menschenschultern aus dem Bezirk von Ya tschou fu herbeigeschleppt.
De Mailla, Histoire g. de la Chine, Paris 1780, Bd. XI, S. 589 ff., hat irrtümlicher-
weise diese Tibeter vorn heutigen Mu gung ting zu den Miao tse-Wildvölkern gerechnet,
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