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0323 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 323 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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hier wie in ganz Kin tschuan und bei Ta tsien lu auch viel Rhabarber, aber diesmal

das Rhizom vom Rheum officinale gefunden. Es wird in halboffenen Hütten

oben in den Bergen geschält und hierauf über Feuern getrocknet und ge-

räuchert. Wegen der großen Feuchtigkeit ist das Trocknen dieser Knollen

hier sehr viel schwieriger als in den Trockengebieten vom Kuku nor.

Während meines Aufenthalts war ein alter chinesischer Arzt in Ma tang,

der seit mehr denn einem Menschenalter in jedem Jahr hier durchreiste und

bei alt und jung aufs beste eingeführt war. Er war Pockenspezialist, reiste

auf die alte chinesische Methode der Variolation; in kleinen Bambusröhrchen

hatte er Menschenpockenlymphe, mit der er alle Kinder bis zu zwölf Jahren,

die zu ihm gebracht wurden, für 300 Cash „impfte" oder besser gesagt ansteckte.

Er goß jedem einige Tropfen seiner Flüssigkeit in die Nase, worauf die Kinder

vier oder sechs Tage später an Pocken (Variolois, in der Eingeborenensprache

Dabram) erkrankten und bis zu einem oder zwei Dutzend Pockeneffloreszenzen

im Gesicht und auf der Brust erhielten. Seine Lymphe gewann er immer wieder

unterwegs, indem er einzelne Effloreszenzen vor ihrem Eintrocknen aufstach

und ihren Inhalt sammelte. Er wählte dazu Kranke, die so w e n i g wie m ö g-

lich Pocken hatten , verdünnte aber obendrein die gewonnene Lymphe mit

Wasser. Nach seiner Ansicht wollte der Mann in erster Linie durch diese

Verdünnung es erreicht haben, daß seine Patienten nicht die schweren Pocken

bekamen und daß sie immer nach acht Tagen wieder gesundeten. Ich ließ mir

hierzu erzählen, daß in ganz Kin tschuan diese Variolationsmethode in n bung

ist und daß, wenn in einem Dorfe nur ein Teil der Kinder „geimpft" wird, der

Rest der Kinder aber ohne Zutun des Variolationsspezialisten angesteckt wird,

die nicht Geimpften schwere Pocken, eine echte Variola, durchzumachen haben,

weiter, daß die Variolation bei Erwachsenen viel schwerere Erscheinungen

zeitigt als bei Kindern unter zwölf Jahren.

Das lange Warten auf die Boten des Li fan ya men wurde durch mehrere

Ausflüge auf die nächsten Berge unterbrochen, soweit wenigstens das Wetter

es erlaubte. In der Regel regnete es jeden Tag viele Stunden, wenn nicht den

vollen Tag und die ganze Nacht hindurch. Die Zeit der Sommersonnenwende

bedeutet für das ganze östliche Tibet und namentlich für seine südlichen Teile

die Regenzeit. Tagelang bleibt der Himmel von Regenwolken bedeckt und tief

in die Täler hinein hängen Nebelfetzen, die größten Feinde der Topographen.

Wenn ich von meinem Zeltplatz gegen Süden auf den Tsche kou- (Iss-Bitternis-)

Paß und von dort zu den nächsten Bergen hinaufstieg, hatte ich bei wenig

über 4250 m wieder die flachen Bergformen erreicht, einen Sockel, aus dem

die Gipfelreihen mit Gesteinstrümmerhalden und vereinzelten Schneeflecken

emporstiegen. Auf dem Sockel stand ich auf Matten, die ganz flach geböscht,

von Sumpfpfannen unterbrochen und mit gerundeten Höckern (roches mouton-

nées) besät waren. Schon unter 4000 m aber, bei 3700 m, zeigten sich die Tal-

sohlen erbreitert, weiter und muldiger als bei dem Marktplatz Ma tang, der noch

in einer Enge liegt, über deren winterliche Kälte und Sonnenarmut die Bewohner

die lebhaftesten Klagen führten. Von 3700 m an nehmen die meisten Täler

einen Charakter an, der auf ganz andere Bildner als die heutige, in die Tiefe

wühlende Erosionsarbeit der tosenden Flüsse hinweist. Oft konnte ich hier in

den oberen Teilen der Schluchten ein treppenförmiges Ansteigen der Talsohlen

bemerken, wobei jede Stufe zugleich eine Erbreiterung der Sohle mit sich brachte.

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