National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
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Meine Tibetreise : vol.2 |
getrieben haben. Jetzt sucht mich Neh` ere auf. Er schmeichelt mir, er will meine Hand lecken, wie er dies in jeder Nacht einigemal für nötig hält. Da ist's, als gäb' es ihm einen Stoß, und er jagt mit hellem Anschlag der alten Hündin nach ins Tal hinab. 100 m vor mir liegen zwei größere Tümpel. Von dort hört man einen platschenden Ton, wie wenn ein schwerer Körper ins Wasser rutscht und in der gleichen Richtung — sehe ich dort nicht ein Glühwürmchen glimmen? — Rasch hintereinander gebe ich drei scharfe Alarmschüsse. Nur „Achtung" sollte dies heißen, nur beizeiten ein: „Hier ist man auf seiner Hut." An den Tümpeln drunten hört man's hierauf deutlicher patschen, und durch das wüste Hundegeheul dringen ein paar obscöne chinesische Schimpfworte bis an mein Ohr. Bald ist es aufs neue totenstill. Es blieb auch still, bis der Morgen dämmerte, an dem ich mich erst ganz spät erhob und nach meinem Bergsattel zog, der mit seinen 4390 m tief zwischen 400 und 500 m höhere kahle Granitschroffen ein- gesenkt lag (Tafel LVIII) . Von diesem Sattel aus lief genau nordöstlich ein Riesentrog aus Granit. Er hatte die Länge von 30 km. Alle Seitentäler, die von den umgebenden Granit- bergen herabkamen, nahmen 150 m über der Sohle des Haupttals ein plötzliches Ende und alles Wasser, das sie führten, mußte in flachen schmalen Rinnen an den Wänden des Trogtals hinabfließen. Runde Granitblöcke bildeten an den Hängen und in dem breiten Grunde des Tals ausgedehnte Felsenmeere, die, mit Moorgrund abwechselnd, der Karawane kein leichtes Fortkommen schafften. Keine Viertelstunde verging, ohne daß Tiere stecken blieben oder von den runden Klippen glitten und in Felsspalten versanken, herausgezogen und neu beladen werden mußten. Wir fanden hier keine Siedlung und auch keine Spur zeit- weiliger Besiedlung. Das Tal scheint auch nur ausnahmsweise begangen zu werden. Nur Murmeltiere und Hasen ohne Zahl bevölkern die hoch stehenden Weiden und die vielen schönen Lärchenhaine (Tafel LIX). Am 21. Juli wurde der Wald allmählich dichter. Als wir unter 3700 m gekommen waren, wurde die Talsohle enger, schluchtförmiger und der Fichten- hochwald zum schier undurchdringlichen Urwald. In 3600 m — wir waren eben noch in N 70 ° W streichenden Sandstein eingetreten — stießen wir auf Weidegründe zwischen den Wäldern und bald auf vier schwarze Zelte. Der Weg wurde nun zum gut ausgetretenen Pfad, er zog sich aber noch lange hin, so daß wir erst um drei Uhr nachmittags an die ersten Häuser von Merge gelangten. Mitten im Tannenwald tauchten Gerste-, Hafer- und Kartoffeläcker auf, und zweistockige Häuschen, mit Schindeln und moosigen Steinen bedeckt, zauberten eine friedliche Schweizerlandschaft hervor (Tafel LX). Über den tosenden Bach, dessen Bett hier noch immer 3450 m Höhe hatte, führten kurz hinter- einander zwei breite Holzbrücken. Viehzäune und Schweine vervollständigten den heimatlichen Eindruck. Auf einer Waldwiese auf einer der hohen Tal- terrassen schlugen wir auch schließlich das Zelt auf. Bald hatte sich ein Besucher, wie er vorgab, ein Einwohner aus einem der nächsten Häuser, eingefunden, der mit uns Tee trank und uns versicherte, es gebe in ganz Merge weder Räuber noch Diebe, wir könnten die Tiere auch die Nacht über ruhig draußen grasen lassen. Als er gegangen war und wir nach den Pferden sahen, fehlte gerade mein bestes Reitpferd, und die Spuren seines Hufbeschlags entdeckten wir erst nach stundenlangem Suchen genau in der Richtung, in der unser Besuch davongeritten war. Leider mußten wir die | ~ | ||
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