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0344 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 344 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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ein geringes Entgelt zu bewegen, unsere Habseligkeiten noch eine Tagereise

weiter zu schleppen (Tafel LX).

Am 29. wollten wir früh daran sein und bis nach Merge kommen. Kurz

nach Sonnenaufgang wurde jedoch das Lager alarmiert. Die Milizen, die die

grasenden Pferde hüteten, rannten ängstlich zu mir und riefen schon von weitem:

„Ladet die Gewehre ! Ganz Karlong ist gekommen." — — Das Waldtal herauf

zog dicht gedrängt eine Schar Bewaffneter zu Fuß und zu Pferd, mit Spieß

und mit Schwert und mit Gabelflinte. Was blieb uns übrig, als den Finger

am Abzug hinter Büschen und Bäumen zu stehen und auf die Dinge zu warten,

die da kommen wollten ! Hundert Meter vor uns hielt endlich ein Sprecher mit

einer Energie verratenden Bogennase und einem bräunlich schimmernden Backen-

bart. „Arro ! schießt nicht," rief es uns zu, „wir haben mit euch zu reden. Wir

wollen die Sache von gestern besprechen."

Dieses „Schang leang" wurde auf unserem Lagerplatz, auf der schönen,

blumigen Waldwiese abgehalten. Auf der einen Seite hockten die Chinesen,

in ihren bunten Soldatenkitteln, und drüben in zwei Gliedern die lange Reihe

der vierzig dreckigschwarzen Fan tse. Man redete drei volle Stunden. Die

stets langen Sprüche wurden immer mit stoischer Ruhe bis zum Ende angehört.

Keiner wurde unterbrochen. Jahrhundertalte Streitigkeiten wegen Ula wurden

frisch aufgewärmt, daß ein vergleichender Rechtsgeschichtler seine helle Freude

daran gehabt hätte.

Meine Soldaten hatten dadurch einen Vorteil gewinnen wollen, daß sie gleich

bei Beginn des „Schang leang" behaupteten, einer von ihnen sei bei der gestrigen

Keilerei durch Steinwürfe schwer verletzt worden. Mit dick umwickelter Schulter

trugen sie den jüngsten meiner tapferen Schar aus dem Zelt heraus und legten

ihn zwischen die Parteien, wo er gar kläglich jammerte und winselte. Wenn er

müde vom Stöhnen innehielt, bekam er von seinen Kameraden verstohlen einen

Tritt, bis sein Seufzen wieder echt klang. Mit solchen Mätzchen fängt man aber

keinen Fan tse. Der Sprecher ließ sich auch nicht eine Sekunde lang bluffen

und ohne Besinnen gab er zur Antwort : „Ich habe einen Mann zu Hause liegen,

der ist so zerhauen worden, daß er weder essen noch trinken kann. Gerade des-

wegen komme ich." Sicherlich war sein Verwundeter ebenso fingiert wie der

der Soldaten. Aber diese beiden mußten als Basis für die Verhandlungen

dienen.

Nach der zweiten Stunde sah es aus, als ob der Streit geschlichtet sei, die

Parteien hatten sich ausgeredet und der Karlong-Führer sagte : „Wir wollen

Freunde werden" ; nach einigen Einwürfen seiner Leute fügte er aber hinzu:

„Ula kann ich nicht geben." „Auf der Stelle kehren wir nach Sung pan zurück

und verklagen euch, daß euch der Markt verboten wird," schriee die gereizten

Ma tui zurück. Und alles springt auf. Aus den tibetischen Ärmeln huschen

versteckte Steine und im Handumdrehen brennen drüben die Lunten. Nur der

Häuptling blieb kalt. Er hält seine Leute zurück und hat sie auch vollständig

in seiner Gewalt. Auf unserer Seite springen Ma san ye und ich dazwischen.

Man setzt sich wieder und es wird aufs neue verhandelt. Endlich, endlich be-

quemten sie sich zu der Erklärung: „Wir stellen die Ula, drunten im Wald warten

die Tiere auf euch." Sie wußten, sie mußten Ula leisten; nur willig sollte es eben

nicht geschehen.

Und die Ula wartete tatsächlich schon die ganzen Stunden. Mit den frischen

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