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Meine Tibetreise : vol.2 |
ein geringes Entgelt zu bewegen, unsere Habseligkeiten noch eine Tagereise
weiter zu schleppen (Tafel LX).
Am 29. wollten wir früh daran sein und bis nach Merge kommen. Kurz
nach Sonnenaufgang wurde jedoch das Lager alarmiert. Die Milizen, die die
grasenden Pferde hüteten, rannten ängstlich zu mir und riefen schon von weitem:
„Ladet die Gewehre ! Ganz Karlong ist gekommen." — — Das Waldtal herauf
zog dicht gedrängt eine Schar Bewaffneter zu Fuß und zu Pferd, mit Spieß
und mit Schwert und mit Gabelflinte. Was blieb uns übrig, als den Finger
am Abzug hinter Büschen und Bäumen zu stehen und auf die Dinge zu warten,
die da kommen wollten ! Hundert Meter vor uns hielt endlich ein Sprecher mit
einer Energie verratenden Bogennase und einem bräunlich schimmernden Backen-
bart. „Arro ! schießt nicht," rief es uns zu, „wir haben mit euch zu reden. Wir
wollen die Sache von gestern besprechen."
Dieses „Schang leang" wurde auf unserem Lagerplatz, auf der schönen,
blumigen Waldwiese abgehalten. Auf der einen Seite hockten die Chinesen,
in ihren bunten Soldatenkitteln, und drüben in zwei Gliedern die lange Reihe
der vierzig dreckigschwarzen Fan tse. Man redete drei volle Stunden. Die
stets langen Sprüche wurden immer mit stoischer Ruhe bis zum Ende angehört.
Keiner wurde unterbrochen. Jahrhundertalte Streitigkeiten wegen Ula wurden
frisch aufgewärmt, daß ein vergleichender Rechtsgeschichtler seine helle Freude
daran gehabt hätte.
Meine Soldaten hatten dadurch einen Vorteil gewinnen wollen, daß sie gleich
bei Beginn des „Schang leang" behaupteten, einer von ihnen sei bei der gestrigen
Keilerei durch Steinwürfe schwer verletzt worden. Mit dick umwickelter Schulter
trugen sie den jüngsten meiner tapferen Schar aus dem Zelt heraus und legten
ihn zwischen die Parteien, wo er gar kläglich jammerte und winselte. Wenn er
müde vom Stöhnen innehielt, bekam er von seinen Kameraden verstohlen einen
Tritt, bis sein Seufzen wieder echt klang. Mit solchen Mätzchen fängt man aber
keinen Fan tse. Der Sprecher ließ sich auch nicht eine Sekunde lang bluffen
und ohne Besinnen gab er zur Antwort : „Ich habe einen Mann zu Hause liegen,
der ist so zerhauen worden, daß er weder essen noch trinken kann. Gerade des-
wegen komme ich." Sicherlich war sein Verwundeter ebenso fingiert wie der
der Soldaten. Aber diese beiden mußten als Basis für die Verhandlungen
dienen.
Nach der zweiten Stunde sah es aus, als ob der Streit geschlichtet sei, die
Parteien hatten sich ausgeredet und der Karlong-Führer sagte : „Wir wollen
Freunde werden" ; nach einigen Einwürfen seiner Leute fügte er aber hinzu:
„Ula kann ich nicht geben." „Auf der Stelle kehren wir nach Sung pan zurück
und verklagen euch, daß euch der Markt verboten wird," schriee die gereizten
Ma tui zurück. Und alles springt auf. Aus den tibetischen Ärmeln huschen
versteckte Steine und im Handumdrehen brennen drüben die Lunten. Nur der
Häuptling blieb kalt. Er hält seine Leute zurück und hat sie auch vollständig
in seiner Gewalt. Auf unserer Seite springen Ma san ye und ich dazwischen.
Man setzt sich wieder und es wird aufs neue verhandelt. Endlich, endlich be-
quemten sie sich zu der Erklärung: „Wir stellen die Ula, drunten im Wald warten
die Tiere auf euch." Sie wußten, sie mußten Ula leisten; nur willig sollte es eben
nicht geschehen.
Und die Ula wartete tatsächlich schon die ganzen Stunden. Mit den frischen
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