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0355 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 355 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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Rachen und den Ohren, der Hintermann dirigierte den mächtigen Schweif und nahm zuletzt den Vordermann auf seine Schulter, worauf endlich die beiden Löwen als zweibeinige Wesen im Tempeltor verschwanden. Nummer zwei waren zwei Masken mit langem Bart und riesigen gebogenen Nasen, die anfänglich langsam und würdig und sich ohne Unterlaß gegeneinander verneigend herumtanzten; bald aber fing das Arme- und Beineschwenken wieder an, wurde das Drehen, Zucken und Zappeln immer rascher und wollte und wollte nicht aufhören. Sie wurden „Dyagar atsara", d. h. die guten Inderleute genannt. Sie sollten sich wohl dem Volk als die ersten Anhänger Buddhas präsentieren. Nun kamen zwei Waldgeister, weißbärtig und wallenden weißen Haares, und führten wirbelnde Tänze auf. Tuli dscha dscha nannte sie mein Begleiter. Sie waren Dri gabu, d. h. weiße Geister, und sangen zum Schluß einen wilden Gesang.

Bis dahin waren zwei Stunden verflossen. Zwei Pilger in roter Priestertoga mit goldenen Sonnenhüten, mit dem Pilgerkrummstab, an dessen eiserner Spitze farbige Bänder flattern, durchschreiten jetzt die Zuschauerreihen. Sie kommen von weiter Ferne und lassen sich dem Tempel gegenüber auf der Erde nieder. „Dyibtsen Mälareba (der heilige Milaraspa) ist erschienen", murmeln gottesfürchtig die Umstehenden. Viele nehmen den Hut vom Kopf und machen Ko tou um Ko tou, bis von links und rechts aus dem Wald heraus zwei Hirschkopftänzer auf die zwei Lama zustürzen, ihre Hälse verrenkend, ihre Arme, ihre Beine in alle Winde schlenkernd, sie umtanzen und schließlich sich neben sie niederlassen. Die Zuschauerreihen werden nochmals durchbrochen, zwei rote Hunde stürzen aus dem Wald heraus den Hirschen nach. Im Ballettschritt, rasch hintereinander mit den Händen in die Luft greifend, um ihre Eile zu markieren, jagen sie dutzende Male um die Lama- und Hirschgruppe in der Mitte. Ein monotoner schläfriger Sang ertönt von den Lippen der Priester. Die Hunde werden zahm und lassen sich neben den Hirschen nieder. Schimpfend und fluchend und mit lautem Peitschengeknall folgen endlich der Fährte der Hirsche und Hunde aus dem Wald heraus zwei alte Männer. Ein Jägerbursche schleppt jedem Bogen und Pfeile und einen großen Korb mit Eßvorräten hinten nach. Der Kreis der Zuschauer macht ihnen gerne Platz, denn unbarmherzig lassen die beiden Alten ihre Steinschleudern schnellen. Doch all ihr Hetzen hilft nichts. Die Hunde liebkosen die Hirsche und die heiligen Männer in der Mitte. Der Hetze müde lassen sich zuletzt die zwei Alten mit ihren Burschen zu beiden Seiten des Platzes nieder (Tafel LXIII). Sie wollen schmausen, aber der Korb enthält nur trockene Knochen, und als sie zur Schnapsflasche greifen, sind sie schon betrunken und schlafen nach einigen drastischen Sprüngen neben ihren Begleitern ein. Jetzt erheben sich die beiden Heiligen und singen eine lange Sutra, während der viele Zuschauer mit der Stirne den Boden berühren. Als die wilden Jäger wieder erwachen, sind sie nicht willig, ihre Jagd zu lassen, sie spannen aber vergebens ihren Bogen, um die Hirsche zu erlegen. Bogen und Pfeil entfällt ihren Händen und unmutig kehren sie in den nahen Wald zurück. Hirsche, Hunde und Heilige ziehen unter dem feierlichen Klang der Trommeln und Posaunen in den Tempel ein 1).

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1) Der Sinn der einfachen Handlung ist ohne weiteres als eine Legende aus dem Leben des wandernden Mönchs Milaraspa (nach Grünwedel, Mythologie des Buddhismus, im Jahre 1038 geboren und 1122 an der Grenze von Nepal gestorben) zu erkennen. Daß alle Personen doppelt dargestellt wurden, scheint keinen weiteren Zweck zu haben, als das Tanzbild lebhafter zu gestalten und es allen Zuschauern deutlich zu machen.

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