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0391 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 391 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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niederen rasenbedeckten Tonberge aus, die im roten Becken von Hei tso vielfach von Löß verhüllt werden. Im Hintergrund ragen die schneebedeckten Hochgipfel und schroffen Felszacken des Tai tse schan-Zuges oder Tibetisch Amne Schiktsar herauf. Auch diesem Kloster fehlt eine umschließende Mauer. Alle Gebäude sehen noch sehr neu aus und das Kloster soll auch erst in den letzten Jahrzehnten so stattlich und reich geworden sein. Aus der Zahl der Tempelgebäude fällt von weitem ein schlanker Bau von acht Stockwerken in die Augen, der wie das große Yehol bei Peking den hochstrebenden Baulichkeiten auf dem Tso Potala in Lhasa nachgebildet ist. Dicht davor ist ein ummauerter Hain und ihm gegenüber am Berghang ist ein schöner und großer Fichtenpark ausgespart, dem die Mönche auch hier ihre besondere Sorgfalt angedeihen lassen, und in dem aufs strengste verboten ist, irgend einem Tier, einem der vielen wilden Hasen und Mäuschen ein Leid anzutun.

Als ich durch die Klosterstraßen spazierte und eben um eine Hausecke bog, bot sich mir gerade vor dem Haupttempel ein seltsames Bild. Ohne Masken und seidene Kleider, barhäuptig und barfüßig, wiegte sich, wirbelte sich und schritt eine vielköpfige Schar junger kräftiger Männer im priesterlichen Alltagsgewand zum Takte und Klang der Musikinstrumente hin und her. Sind es tanzende Derwische? Wollen hier etwa die buddhistischen Lama durch Tanzen für das Jenseits vorbauen? Von den Umstehenden gab mir keiner Bescheid und erst in Hei tso erfuhr ich, daß ich in die Übungsstunde der Mönchsschauspieler geraten war. Ohne die Theaterflitter und den Tand der großen Vorstellungen kam die hervorragende Elastizität der Gliedmaßen der Tibeter in ganz besonderer Weise zum Ausdruck. Katzenweich flossen alle Bewegungen; sie waren zugleich aber auch exakt im einzelnen ausgeführt und klappten im Chorus. Leider lag niemand an meiner Bewunderung. Ich stand nicht lange als stummer Zuschauer zwischen den anderen Leuten, nur zu bald traf mich ein Stein und kamen grobe Kerle und verfolgten mich mit 2 m langen Lederpeitschen, bis ich im Laufschritt das letzte Priesterhaus und die letzte Gebetsmühlenhütte hinter mir hatte.

Von schTsu gomba bis Labrang gomba rechnet man nur zwei Tagesmärsche, aber ich mußte bis 2750 m absteigen und am zweiten Tage einen 3525 m hohen Bergpaß übersteigen. Ich reiste nun wieder allein, Mr. Ruhl war in Hei tso umgekehrt. Am ersten Tag kam ich an den Klöstern und Einsiedeleien Kadya gomba, Retscho gomba, Taschi gomba und Lungwa gomba vorüber. Es muß die Straße gewesen sein, der schon Potanin vor mir gefolgt war. Gerne wäre ich etwas weiter westlich durchgezogen, aber der westlich schTsu gomba sitzende Stamm Bora amtsoch` lag in Blutrache mit einem gleich starken Nachbar; das Verhältnis der Erschossenen stand damals gerade 15 : 21 und man sagte sich in Hei tso, daß dort erst Friede einkehre, wenn einer der Stämme ganz unterliege oder das Verlustkonto auf beiden Seiten gleich groß geworden sei 1).

In allen Tälern, auf allen Feldern wurde fleißig an der Neubestellung gearbeitet. Männer und Frauen trugen den Oberkörper nackt, die Männer steckten in einer kurzen Kniehose, die Frauen hatten das bis an die Knöchel herab-

1) 1844-1846 hatten sich die Stämme um das Kloster schTsu oder (chinesisch) Hei tso gegen die Chinesen aufgelehnt und wurden erst nach langen Verhandlungen wieder „beruhigt". Seither sind alle Hsün hoa ting-Tibeter in zwanzig Herrschaften

eingeteilt.

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