National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
| |||||||||
|
![]() |
Meine Tibetreise : vol.1 |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
1
zu. Plötzlich unterbrach er die Stille : „Du bist ganz wie der Tschou da jen.
Kennst du nicht die Geschichte von Liu da lao ye und seinem Herrn Tschou?" 1)
Ich wußte die Geschichte natürlich nicht. „Liu," so fuhr der Bauer fort —
ich lasse aber die Titel beiseite, die mein Gewährsmann stets wiederholte -
„der war angestellt, der ,aß das Essen' bei Tschou. Dieser war ein hoher Be-
amter, besaß aber noch viele Ländereien und viele große Geschäfte in der Stadt.
Jahrelang hatte Liu dem Herrn die Rechnung geführt. Er hatte wohl viel zu
tun, war aber wegen seiner Stellung sehr angesehen und ging immer in Samt
und Seide. Er hatte ein Pfandhaus unter sich und war eine Art Direktor. Eines
Tages aber kündigte er und verließ seinen Posten zum großen Schmerze seines
Herrn. Dieser stellte der Reihe nach verschiedene Leute an, aber bei keinem
wollten die Geschäfte ebenso blühen wie unter Liu. Tschou entschloß sich
deshalb, seinen früheren Angestellten zu besuchen. Endlich fand er das Dorf,
wo jener beheimatet war, fand auch sein Haus. Dort wurde ihm gesagt, Liu
sei auf dem Felde, und Tschou suchte ihn draußen auf. In einer Ecke des Feldes
sah er die Ochsen grasen, die ihm bezeichnet worden waren, aber den Mann
konnte er lange nicht entdecken. Schier wäre er aber beim Suchen auf ihn
getreten. Liu hatte seinen verschossenen Kattunkittel ausgezogen und schlief
wie ein Taglöhner mit nacktem Oberkörper in einer Ackerfurche. Mitleidig
rief der Herr seinen alten Direktor an und forderte ihn auf, da es ihm an-
scheinend schlecht gehe, doch gleich mit ihm nach der Stadt zurückzufahren,
dort könne er sich wieder in Seide kleiden, auch werde er ihm einen Rang, einen
Knopf kaufen. Liu aber lächelte daraufhin nur. ,Sieh, Herr,' meinte Liu, ,das
schönste ist, Bauer zu sein, einen Acker selbst zu pflügen und zu eggen. Hier
habe ich keine Sorgen. In der Stadt aber und als Leiter eines großen Geschäftes
muß ich achten, daß ich standesgemäß gekleidet bin, muß mich mit vielen
Dienern herumärgern und habe keine Ruhe bei Nacht und bei Tag.' — Ich bin
auch in Schanghai gewesen, habe dort viele Europäer gesehen," meinte mein
Hauswirt weiter, „aber nirgends habe ich einen Europäer gesehen, dem ich das
Verständnis für solche Gedanken zutraute."
Bald südlich von Tschung wei trifft man in den zunächst breiten, oben ab-
geflachten Bergmassen noch einzelne höhere Kuen lun-Ketten, Bergzüge, die
mit einer N 70-75 ° W ziehenden Streichrichtung von dem ausgedehnten Ge-
birge herkommen, das wir auf allen unseren Karten als Nan schan oder Südberg
eingetragen finden. Die Bezeichnung rührt daher, daß die ersten europäischen
Reisenden, als sie, von Norden, von der Wüste Gobi her kommend, nach dem
Namen des Gebirges fragten, von den Bewohnern die echt chinesische Antwort
erhielten: Nan schan, „Berge im Süden".
Diese Ketten, die vom 95. Längegrad an in südöstlicher oder ostsüdöstlicher
Richtung streichen, setzen sich als stattliche Felsrücken, die nur ganz allmäh-
lich an Höhe abnehmen, auch noch weit über das rechte Hoang ho-Ufer fort.
Es kostete mich große Mühe, in diesem Bergland den Hoang ho, der sich müh-
1) Tschou da jen, die Exzellenz oder Hochwohlgeboren Herr Tschou. Das Chinesische ist die an Titeln und Anreden reichste Sprache. Eine allgemein gebräuchliche Anrede wie unser „Herr" gibt es nicht. Selbst die Worte für „Herr" sind dem Range nach abgestuft. Da jen wird meist mit Exzellenz übersetzt, ist aber noch nicht dasselbe, da es weit hinab in den Rangstufen angewandt wird und anderseits in der Anrede von Gouverneuren und Generalgouverneuren nicht mehr genügt.
140
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
|
Copyright (C) 2003-2019 National Institute of Informatics and The Toyo Bunko. All Rights Reserved.