National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
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Meine Tibetreise : vol.1 |
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1I
schmalen Pfaden, nur im Gänsemarsch gelangen kann, hatten seine Leute ihr
Stammland. Von dort aus hielten sie einen weiten Umkreis in eitel Schrecken.
Niemand konnte mehr friedlich über Land reisen. Die größten Karawanen
wurden ausgeraubt. Die Stadt war nahe daran, von ihren Bewohnern auf-
gegeben zu werden. Der Handel, der ganze Wert der Stadt, war vernichtet.
Dicht vor den Toren wurden den Chinesen vom Pfluge weg die Ochsen und Esel
fortgetrieben. Wer Miene machte, Widerstand zu leisten, wurde erschossen.
Da hatte endlich 1905 ein junger, neu eingetroffener Ting den Mut, die Interessen
seiner Untergebenen zu verteidigen. Er erlangte auf seine Berichte von der
Zentralregierung die Vollmacht, die Inkarnation zur Verantwortung zu ziehen.
Er lud den hohen Lama in sein Haus. Und als jener schon ein paar Tage vorher
sein Erscheinen angesagt hatte, da galoppierte eine Estafette nach der anderen
nach Hsi hing mit der Bitte um weitere Vollmachten. Der Ting bat, den Lama
festnehmen zu dürfen. Er bat um Truppen. Aber tagelang blieb die Antwort aus.
Dem Amban fehlte der Mut, die Verantwortung zu übernehmen. Er neigte
eher noch auf die Seite der Tibeter. Der Ting sandte nach Lan tschou fu, er
telegraphierte von dort aus nach Peking um genaueste Instruktionen. Auf
dem erbärmlichen Pfad nach Lan tschou braucht aber ein Reiter, auch wenn
er zehnmal frische Pferde nehmen kann, immerhin zwei Tage. Da konnte der
Ting also lange warten. Mittlerweile war alles vorbereitet. Insgeheim waren
seine Leute bewaffnet, die Tore besetzt. Es wäre aber wohl trotzdem nicht
zum Losschlagen gekommen, hätte nicht der Bruder des Lama, der im Ya men-
Hofe wartete, Verdacht geschöpft, wäre es diesem nicht gelungen, in den Gäste-
raum zu gelangen und seinem Bruder zuzurufen, er sei in eine Falle gelockt
worden, er solle fliehen. Blitzschnell hatte die Inkarnation die Situation er-
faßt. Mit dem großen Silberstück, das er noch in Händen hielt, schlug er den
Ting nieder und suchte seinem Bruder nach den Eingang zu gewinnen. Nun
ist es in China allgemein Sitte, daß bei Besuchen die Ya men-Aufwärter an der
Türe stehen. Diese, zehn Mann hoch, verlegten dem Heiligen den Weg und
suchten ihn zu knebeln. Es war ein Riesenmann, prächtig, muskulös, götter-
gleich gewachsen — so sagten mir alle meine Gewährsmänner. Nur mit dem
Silberstück bewaffnet, warf er die von Opium und Nichtstun kraftlosen Knechte
auf die Seite, und sicherlich wäre er auch entkommen, hätte nicht der Ting
einen kleinen Revolver in seinen Kleidern verborgen gehabt und damit, außer
sich über die erlittene Schmach, auf den heiligen Lama geschossen. Am gleichen
Abend noch starb die Inkarnation im Hofe des Ya men an der Verwundung.
In der allgemeinen Verwirrung war es dem Bruder gelungen, aus der Stadt
hinauszukommen und seinem Stamm Kunde von den Vorgängen im Ya men
zu bringen. Wie ein Bienenvolk, dem man die Königin nimmt, so wütend
fuhren die Leute auf, hatte man ihnen doch ihr Höchstes, ihre Heiligen-
inkarnation, ihren Gott getötet. An einen Sturm auf die Stadt konnten sie
freilich nicht denken. Eine chinesische Lehmburg zu nehmen, war noch immer
eine mißliche Sache für einen Reiterstamm. So zogen sie sich nach einigen
wilden Demonstrationen in ihre Berge zurück, um dort erst recht den Krieg
vorzubereiten, Pulver zu reiben, Kugeln zu gießen. Weithin waren die Büchsen-
macher dieses Stammes berühmt. Selbst an Imitationen unserer modernen
Gewehre hatten sich einzelne Meister gewagt. Ein Glück war es für die Chi-
nesen, daß jene nur ganz wenig Stahl einhandeln konnten.
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