National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
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Meine Tibetreise : vol.1 |
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1OE
1.; | Der Krieg hat im Anfang ziemlich viel Blut gekostet. Kurz nach der Er- mordung des Lama fiel eine chinesische Soldatenabteilung, die von Hsi ning fu über den Lao ye schan nach Kue de marschierte, in einen Hinterhalt und verlor dreißig Tote. Zu einer großen Schlacht freilich ist es nie gekommen. Den Aus- gang des Krieges, daß die Kanonen von Lan tschou geholt wurden und daß schließlich die Tibeter wenige Monate vor meinem Besuch ohne größeres Blut- vergießen von den chinesischen Unterhändlern niederdebattiert wurden, habe ich in einem früheren Kapitel schon kurz erwähnt. Man verfuhr in diesem Krieg, wie man es in China seit Jahrtausenden ge- macht hatte. Man zog von Lan tschou fu aus ohne irgend einen Plan in den Krieg und suchte unter Vermeidung eines offenen Kampfes durch endlose Ver- handlungen, durch Befehle und Gegenbefehle vom weit entfernten Thron, lediglich durch die Anwesenheit eines Heerkörpers nach irgend einer Lösung der Schwierigkeit. Der gute, tatkräftige Ting aber wurde natürlich sofort abberufen, verlor sein Amt und auch seine Würden, weil er nicht den ganzen Krieg zahlen konnte. Ich sah den jungen, frischen und intelligenten Mann nach einigen Jahren noch in Lan tschou immer geduldig, aber nicht sehr hoffnungsvoll wartend, daß er den langen Zivilprozeß gegen seine Vorgesetzten gewinnen werde. Wenn Ru da- lao ye aber wieder einen Posten kriegen sollte, hilft er sicher nicht ein zweites Mal dem unterdrückten Volke ! Was für mich das Typische bei der ganzen Sache war, in Kue de sprachen Ladenbesitzer, mein Wirt und viele Bauern mit den höchsten Lobeserhebungen von dem Ting Ru als ihrem Retter, aber keiner rührte für den Entehrten eine Hand. Wenn man in Altchina nicht sehr viel Geld hatte, durfte man nicht tatkräftig sein. Man mußte streng auf das „Wu- wei" achten, d. h. sich nicht rührig zeigen und mußte die Dinge an sich heran- treten lassen. Der augenblickliche Ting von Kue de entpuppte sich als ein großer und sehr gebildeter Literat und Archäolog. Er hatte viel Sinn für die ältesten chinesischen Schriftzeichen. Sein Rang war nicht gekauft. In den sechziger Jahren schon hatte er sein Staatsexamen mit Glanz gemacht und auch später noch war er für seine klassischen Gedichte und die Zahl seiner klassischen Zitate bekannt geworden, so daß es eigentlich wundernimmt, daß er keine höheren Staatsexamen machte und kein höheres Amt erlangt hat. Es war eben auch kein Sohn reicher Eltern. Eine Stunde nach meiner Visite im Ya men sprach der Ting in meinem Gasthaus vor. Er brachte mir als Geschenk ein über quadratmetergroßes, von ihm selbst verfaßtes und von seiner Hand geschriebenes Gedicht mit, das sogar teilweise in altchinesischen Zeichen die Gefahren des Ts`ao ti, also Tibets, in den denkbar schwärzesten Farben schilderte. Kein Entrinnen weissagte er mir, sollte ich es wagen, dort einzudringen. Es wollte mir fast so vorkommen, daß mir der Amban nur geraten hatte, nach Kue de zu gehen, um noch diesen Mann zu sprechen. Lasciate ogni speranza, voi ch`entrate", klang wieder und wieder der Refrain, als hätte der alte Mandarin mit seinen hageren, vom Opium gebräunten Fingern in Dantes Göttlicher Komödie geblättert und der auf alles Fremde hochmütig herabsehende Chinese dem großen Dichter seine grausigsten Stellen gestohlen. Länger als zwei Stunden studierten wir gemeinsam und mit Hilfe seiner |
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