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0009 Baukunst und Landschaft in China : vol.1
Architectural Arts and Landscapes in China : vol.1
Baukunst und Landschaft in China : vol.1 / Page 9 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000203
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Fließend ist die Gegenwart, verschleiert die Zukunft, doch fest und klar steht die Vergangenheit. Erst aus ihr lernen wir unser eigenes buntes Leben verstehen, das wir ohne ihre Hilfe kaum zu deuten vermögen. Ewige Werte seines Geistes, seines Volkes machte der Mensch sichtbar in der Kunst. Zumal in der Baukunst spiegeln sich zwar auch äußere Formen und Notwendigkeiten des täglichen Lebens wieder, in ihr ist aber zugleich der wahre Inhalt unseres Seins verkörpert. Durch die Werke der Baukunst wirkt der Geist der Vergangenheit lebendig und überall sichtbar in die Gegenwart hinein, hilft unser Wesen und damit auch unser Handeln bestimmen.

Scheinbar ändert sich das Wesen eines Volkes im Strom der Jahrhunderte. Die Gesichte der Zeiten wechseln, alte Monumente undFormen schwinden. Der graue Tag, die stürmende Gegenwart umklammern uns zuweilen mit schrecklicher Gewalt, nehmen uns den Atem und lassen uns dann fast verzweifeln am Sinn der Menschheit. Auch China befindet sich heute in einem Zustande fast vollkommener Gärung. Doch wenn das Alte stürzt, wenn große Werte der Kultur vergehen, so wird doch überall und gleichzeitig neu aufgebaut. Unvergänglich bleibt der wahre Geist des Volkes auch in einem neuen Zeitalter. Diesen Kern helfen wir enthüllen, wenn wir der letzten Bedeutung der Baudenkmäler nachgehen. Nur solchen bleibenden Gedanken, die geschöpft sind aus Chinas lebendigen Quellen, sollen Wort und Bild in diesem Buche folgen.

Der Grundzug chinesischer Baukunst ist religiöse Stimmung. Werden wir uns dessen bewußt, so haben wir damit auch den Schlüssel zum Verständnis der Bauten selbst. Die feinsten Ueberzeugungen auch des chinesischen Volkes fanden ihren Ausdruck im Religiösen. Hier liegt die Wurzel alles Tuns. Die inneren Kräfte, die daraus entsprangen, sollen uns bewegen, wenn wir das äußere Bild des chinesischen Landes betrachten, die Natur, die das Volk zu dem machte, was es wurde, und die Werke der Baukunst, mit denen die Chinesen ihr Land beseelten.

In allen Baudenkmälern Chinas prägt sich ein tiefer religiöser Sinn aus, man fühlt die Einheit des Menschen mit der Natur, die Abhängigkeit von ihr. Hierfür fanden die Chinesen in einer Welt von Göttern, die sie sich schufen, den sichtbaren Ausdruck. Der Gedanke einer solchen Naturreligion erscheint am reinsten in dem Staatskultus, in der Verehrung der Sonne, des Mondes und der Gestirne, der Erde und des Ackerbaues. Diese Staatstempel, wie auch die meisten anderen Tempel und Heiligtümer, liegen noch heute in der Regel eingebettet in heilige Haine, die das religiöse Leben dem Geräusch der Welt entrücken. Jene Gedankenwelt, die der Natur als solcher göttliches Leben verlieh und die wir in den Götterhainen der Griechen, Römer und unserer eigenen Vorfahren ahnen, ist heute noch lebendig .in China. Alles und Jedes ist stets verklärt von dem milden Schein der Liebe zur Natur, der man eine hingebende Dankbarkeit bewahrt.

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Es ist eine metaphysische Dreiheit von Kräften, die in gleicher Weise für den alt-chinesischen wie für den neueren buddhistischen Gedankenkreis den Ausgangspunkt bildet. Das schönste Sinnbild hierfür sind zwei Drachen, die mit der Perle der Vollkommenheit spielen. Sie sind die beiden Kräfte, die sofort mit jeder ersten Gestaltung, im Geistigen wie im Körperlichen, auftreten, und die an dem neuen Gebilde wirken, bis es seinen Höhepunkt erreicht und bis es schließlich wieder vergeht. Gleich groß und entgegengesetzt, halb im Spiel, halb im Kampf, immer in lebendiger Bewegung, als Verkörperung der beiden Prinzipien Männlich und Weiblich greifen die beiden Drachen von Osten und von Westen her nach der Perle, die in der Mitte, als Gegenbild der Sonne, als Sinnbild der Einheit und Vollkommenheit schwebt, leuchtet, lodert und sich dreht. Doch unerreichbar bleibt den Drachen ihr Ziel, für sie ein Phantom, die Einheit des Seins, die verloren ging mit der Gestaltung, und mit der auch die Kräfte sich erst wieder vereinigen, wenn sie selbst aufhören zu bestehen,

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