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0406 Meine Tibetreise : vol.1
Meine Tibetreise : vol.1 / Page 406 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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Westen ab und folgte dem Tschürnông tschü aufwärts. Einen Weg gab es

nun nicht mehr. Tiefe Schluchten, eine dicht hinter der anderen und eine steiler

als die andere, mußten überschritten werden und machten die Yak zum Um-

fallen müde und matt. Im Lager 27 wurde wieder einer der Ochsen geschlachtet,

der nicht recht vorwärts kommen wollte. Meine Dunganen banden ihm die

Füße zusammen, drehten seinen Kopf nach Westen, damit sein Geist nach der

Kaaba finde und von dort in den mohammedanischen Himmel gelange. Wenn

das Messer mit einem kräftigen Ruck die Halsschlagader durchtrennt, ruft der

Schächtende : „Bismillah !", wirft gleich darauf das Messer auf die Erde und

betet eine Koransure, die aber in dem Munde meines Dunganen H` an nicht im

mindesten mehr arabisch klang.

Am 26. Mai morgens war Sung schwächer als je zuvor. Außer ihm war,

als wir aufbrachen, auch der ältere Tschang schwer krank. Er war bereits so

schwach, daß ihn zwei Mann auf sein Reitpferd heben mußten. Im ersten

Augenblick hielt ich es für die Wirkung meiner Opiumentziehung und ließ ihn

noch eine weitere Pfeife rauchen. Er wurde jedoch während des Marsches immer

hinfälliger und begann zu phantasieren. Plötzlich befiel auch mich dieselbe un-

sägliche Kraftlosigkeit, so daß ich mich nach jeder Kompaßpeilung auf mein

Pony heben lassen mußte. Bald war ich schlechterdings außerstande, allein

mich noch im Sattel zu halten. Zwei Mann mußten mir zur Seite stehen. So

blieben nur noch vier Mann als Treiber für die große Karawane übrig. Wir

schlugen deshalb schon um halb acht Uhr in der Frühe wieder Lager; es war

das 28. Ein Schüttelfrost packte mich und alle Glieder schmerzten. Das

Lästigste aber war die Atemnot und Herzbeklemmung, die ich zunächst freilich

der Höhe des Lagerplatzes zuschrieb. Als bei mir wie bei den anderen noch im

Laufe des Tages Erbrechen und Durchfall dazukam, war ich überzeugt, daß wir

an Typhus erkrankt seien, der ja auch unter den Nomaden in Tibet nicht fehlt.

Ich fühlte mich so elend, daß ich es für ausgeschlossen hielt, daß ich meine

Krankheit überstehen könne, und diktierte am Nachmittag Da Tschang einige

Abschiedsworte an meine Eltern und einige Befehle an die Leute. Ich mußte

mir den Arm halten lassen, um nur meine Namensunterschrift unter Da Tschangs

chinesische Zeichen zu setzen. Abends war meine Temperatur nahe an 41 °.

Um Mitternacht brachte Sung das Lager in heillose Verwirrung. In seinen

Fieberdelirien war er aus dem Zelte gestürzt, hatte der Wache das Gewehr

aus der Hand gerissen und blindlings drauflos geschossen. Dazu stieß er den

tibetischen Kriegsruf aus, so daß wir anderen Kranken überzeugt waren, die

Sidia kämen. Auch ich wollte aufspringen, konnte mich aber nicht erheben

und mühte mich vergeblich, den Hahn meiner Pistolen zu spannen.

Am Morgen des 27. Mai klagte auch Da Tschang über Mattigkeit und über

Kopfschmerzen. Vier Mann lagen jetzt im Mannschaftszelt in Delirien. Ihre

Schreie klangen markerschütternd. Die Gesunden kampierten darum in einer

Entfernung von 50 m von den Kranken. Sie waren vorsichtig geworden und

hatten dort alle Wagen zusammengetragen. Es waren am Ende nur noch die

Mohammedaner, die sich aufrecht hielten. Ich versuchte durch Waschungen

und durch Fiebermittel meine innere Hitze zu bekämpfen. In meinem Kopf

aber hämmerte es weiter und die Temperatur hielt sich gleich hoch. — -

Es war ganz dunkel, als ich wieder erwachte. Ich erinnerte mich, daß ich so-

eben im Abiturientenexamen gesessen hatte — — — j a, ja, ich bin noch triefend

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