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0014 Chotscho : vol.1
Chotscho : vol.1
Chotscho : vol.1 / Page 14 (Grayscale High Resolution Image)

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doi: 10.20676/00000194
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DIE STADT CHOTSCHO UND IHRE BEWOHNER.

Der moderne Flecken Qara-Chödscha besteht aus drei kleinen Ortschaften, nämlich Qara-Chödscha, Âstina und Âwit (oder Âwät = Âbid), von denen jede ihren eigenen Bürgermeister (diröks) hat. Diese Siedelungen umfassen etwa 1100 Heimstätten; sie liegen von Ost nach West an der Nordmauer der Ruinenstadt und flankieren einen Teil der Westmauer; die Häuser, besonders von Qara-Chödscha, liegen aber stromaufwärts am Laufe des kleinen, von

Norden her fließenden Flusses, bis zu dessen Austritt aus der Schlucht (@riz, érfz) von Sängim. Die heutigen Bewohner sind laue Muhammedaner und gehören zu demselben Zweige der tür-

kischen Rasse wie die türkischen Bewohner der Städte Käschgar, Kutscht, AgsO und der übrigen Siedelungen Turkistans. Sie sind ein Mischvolk, unter dem es zahlreiche Individuen von durchaus europäischem Typus neben ebenso ausgesprochenen Vertretern der ostasiatischen Rasse gibt. Nur die Bewohner der Gegend von Maralbaschi, die Dolinen, sollen anderen, nämlich mongolischen Ursprungs sein.

Die Ruinenstadt Qara-Chödscha,' die auch unter dem Namen Idiqut-Schähri,2 Digiines,3 Apsüs und ,Stadt des Älbättä Sullin; (chines. Kao-a`'ang) bekannt ist, trägt in unseren alten türkischen Manuskripten den Namen Chotscho.

Es war, wie man durch das Studium der Ruinen lernt, eine durch mächtige Mauern stark befestigte Tempel-Stadt und Necropole, deren sämtliche Gebäude ausschließlich Klöster, Tempel

und StOpen (darunter manche Gräber) gewesen sind. Als einzige Profanbauten in der Stadt

wird man die Palästen der königlichen Familie annehmen dürfen. Das gemeine Volk mag ungefähr dort, wo jetzt die modernen Ansiedelungen liegen, und wo sich ausgedehnte, heute viel-

fach zur Anlage von Gräbern verwendete Plattformen aus gestampftem Löß befinden, in mit Lehm

gedichteten Häusern aus Rohr- oder Weidengeflecht gewohnt haben. Bei Kriegsgefahr wird die Tempelstadt Chotscho ebenso wie die durch ihre Lage auf einer schwer zugänglichen Löß-

klippe noch festere ,Stadt auf dem Yin' (80 LI westlich von Chotscho) als Zufluchts-Burg far die Bewohner der vor ihren Mauern gelegenen Außenstädte gedient haben. Einer der Tempel in Chotscho ist nachweislich im 5.Jahrhundert errichtet worden Ober das Alter der übrigen fehlt der literarische Bericht.'

Das Gebiet von Turfan-Qara-Chödscha heißt in den chinesischen Annalen schon um das Jahr 60 v. Chr. KiG-schi oder Ku-schi.8 Welchem Volke die Bewohner dieses Gebietes an-

gehörten, wissen wir nicht, es steht aber fest, daß es keine Chinesen waren. Wenn wir urteilen

dürfen nach den zahlreichen dort gefundenen Manuskripten in indischer Schrift (Brihmi), aber in einem fremden, zur europäischen Gruppe der indogermanischen Sprachen gehörigen Idiom,

als dessen Träger wir die Rasse betrachten dürfen, deren blauäugige, rothaarige Porträtköpfe auf den Wandgemälden in Turfan häufig wiederkehren, so war ein Teil der BewohnerChotscho's europäisch-indogermanischen Stammes; wir nennen einstweilen diese Leute nach der vermutlich Ihnen zuzuschreibenden Sprache ,Tocharer"s.

Das persische Won x6ga ()twigs) hat ant in Ost-Turkistan die Bedeutung "Fürst" angenommen, doch können auch Heiligengrdber mit diesem Ausdruck bezeichnet werden. In Qara•Chödscba scheint eine (vielleicht lunge?) Tradition von einem schwarzen (indischen?) Fürsten dem Namen zu Grunde zu liegen (Volksetymologie).

2 Wörtlich: Stadt des Minn'. Bei De CEIDNrs, Histoire generate des Huns, 11, 275 .Idreutt = Titel des Uigurcn. Königs". Dieser Titel besteht aus 2 türkischen Worten, die ideq gut zu lesen und mit "die heilige Majestät" zu übersetzen sind, (cf. F. W. K. MÜLLER, Uignrira, Abh. d. Preuß. Akad. d. Wiss. 1908, S. 58).

a Da die Siebenseblifer-Legende mit dem nahe bei Chotscho gelegenen Heiligtum von Toyoq verbunden ist, benennt man die Stadt Chotscho zuweilen mit dem Namen Ephesus (Apsüs) oder mit dem Namen des Kaisers Decius

(a Digienüs).

ÂtblttiSullan ist in der (moderato türkischen) Legende der Name des mubammedanischen Flinten, der das Land erobert und den Islam eingefuhn haben soll.

5 Ihre Lage ist übrigens noch nicht ermittelt. Im Volksmund trägt die Ruine E des GitexwCDEL'scheo Planes (Bericht 5. 8) den Namen des .Chduzpalastes", ob aber eine gesicherte Tradition vorliegt, wissen wir nicht. Die große Kloster-Ruine; hat ebenfalls einen türkischen Namen: sie heißt .Xitdi mddrdsd" — die Chinesenschule. e ct. O. FRANKS, Eine chinesische Tempelinseh fl aas Idikuts'ahri bei Tarfan, Anh. a. d. Abadl. d. Kgl. Preuß. Ak. d. Wiss., Berlin, 1907.

s Für Nachrichten über Turran etc. vergl. u. a. A. ReceL, Meine Expedition nach Turfan, 1879, PETERSIANN'S Mitteilungen 1881, Heft X.

DERSELBE, Turfan, l'ETERMANN'S Mitteilungen, 1880, Heft VI.

G. und N. GRU,, Cnöluu,LO, BurhreibungeinerReisenach Wut-China St. Petersburg 1896-1907, 3vol. (Russisch)

  1. KLEHENTZ, Nachrichten über die Iran der Kaiser!. Akad. der Wissenschaften zu St. Petersburg im Jahre 1898 ausgeristete Expedition nach Turfan, St. Petersburg, 1899.

BReTsCHNEIDeR, Notices of the Mediaeval-Geography and History of Central and Western Asia, London J. R. A. S., 1875.

DONNER, Rtsa i Central-Asien 1898, Helsingfors, 1901.

A. GRONweDcL, Bericht über orrhaeologische Arbeiten in Idikutsrhari etc., Abhdl. d. Bayer. Akad. d. wins., München, 1908

A. v. LE COQ, A short Arcount of the Origin, Joarney and Results of the First Royal Prussian (Second German) Expedition to Turfan, J. R. A. S., London, Apl. 1909.

DERSELBE, Exploration archiologigae d Toastfan, Journal asiatique, Paris, MDCCCCIX.

  1. HusrINcTos, The Pulse of Asia, London, 1907.

e CHAVnsNES, Documents sat. les Ton-Rine occidentaux, St. Petersburg, 1903, S. 101, n.

s vergl. F. W. K. MÜLLER, Bettrag zur genaueren Bestimmung der unbekannten Sprachen Mittelasiens, Sitzher. d. Pr. Ak. d. Wiss. I. III. 1907.

Dan diese Sprache nicht nur in Bibliotheken nach Chotscho, Schûr•tschuq und Kutschs gelangt ist. scheint daraus hervorzugehen, daß eine der Tempelinschrihen in der Singirrer Schlucht, und viele Wandaut• schritten in Kutscht (Qyzil) in ihr verfaßt sind. Die heilige Sprache war Sanskrit und zuweilen, augenscheinlich unter der Herrschaft der noch keine eigene Kultur besitzenden Zuan•Zuao, Chinesisch ; mithin muß Tocharisch die Sprache eines einflußreichen Teils der Bevölkerung von Chotseho und von Kutsehi und Schbr-tschuq gewesen sein.

Hier muß erwihnt werden, daß diese Sprache in zwei Dialekten, die wir mit ,A" und ,B" bezeichnen, vorliege (cf. Dr. SILO und Dr. SIEDLtEC, Tocharisch, die Sprache derindosrythen. Sitzber. d. Pr. Ak. d. Wiss.1908 %XXIX) Unter unseren Handschriftenfunden aus Chotscho und Umgebung sowie aus Schür-tschuq kommen Beispiele beider Dialekte vor, in den Manuskript-Funden aus Kutschi.Qyzil fehlt aber der Dialekt .A'.

Die Stifter auf den Bildern von Qyzil, und Qumtura haben zwar rotes (d. i. wohl mit Firbemitteln (Henna?) geliebtes) Haar, aber n i e m a 1 s blaue, sondern stets schwarze Augen. Sie gehören folglich wieder

4

Wir halten diese ,Tocharer" für einen Stamm der Yüe-tschi, der, bel der Rückwanderung'

dieser Stämme auf irgend eine Weise nach Chotscho verschlagen, kraft seiner kriegerischen Eigenschaften Einfluß auf die dort ansässigen Nachkommen der Gründer dieser Stadt ge-

wonnen hat. Daß die ,Tocharer" selbst die Stadt gegründet, ist wenig wahrscheinlich: wir

glauben vielmehr, daß die ersten Städtebauer Ost-Turkistans überall iranische Soghdier waren, deren Stadtgemeinden je nach der geographischen Lage und der Zeitperiode durch Vögte oder

Fürsten der Hiung-nu, Tocharcr, Hephthaliten, Zuan-Zuan, Chinesen, Türken, Uiguren oder Tibeter verwaltet wurden. Ob die .Tocharer' mit den Kü-schi identisch sind, können wir nicht feststellen.

ihre Kultur und Kunst haben die Bewohner Chotscho's nicht vom Osten, sondern vom Westen und Südwesten erhalten. Besonders war es zunächst der indische Buddhaglaube, der

ihnen auf zwei Wegen, nämlich aus Soghdiena, Bactrien und dem Grenzland Gandhära einer-

seits und aus Indien selbst andrerseits gebracht wurde, dem sie diese Güter verdankten. Erst später, als China selbst durch diese Saat des Buddhismus befruchtet worden war, wird, nach

Aufhebung des Verkehrs mit dem Westen durch die Araber, eine rückläufige Welle die alten, nunmehr chinesisch veränderten Motive nach den Landen im Westen Chinas zurückgebracht haben.

Neben Indien scheint Iran (vielleicht grade der uns noch wenig bekannte Osten Irans) einen besonders großen Einfluß auf die Kultur dieses zentral-asiatischen Landes ausgeübt zu

haben: wo die Architektur nicht indischen Vorbildern folgt, ist sie iranisch; die Waffen, Kleider, Textilien,2 ja sogar das Zaumzeug der Pferde mit seinen Glöckchen und Quasten, weisen nach Persien hin?

Auch die Schriften der Bevölkerung zeigen den zwiefachen Ursprung; man bediente sich seit früher Zeit einerseits der verschiedenen Arten der indischen Schrift, andererseits der von

den ostiranischen Soghdiern benutzten Lettern semitischen Ursprungs, nämlich dersoghdischen Schrift•. Zu bestimmten Zeiten — besonders in denen der Herrschaft gewisser türkischer Völker — beschäftigte man sich mit dem Studium des Chinesischen.

Außer dem Buddhismus war noch das syrisch-nestorianische Christentum und die Religion des Persers Mani in das Land verpflanzt worden. Die genauere Zeit des Eindringens

beider Religionen ist nicht festzustellen; unseres Erachtens dürfte die Anzahl und der Einfluß

der syrischen Christen erst in späterer Zeit — etwa vom 7. Jahrhundert an — eine gewisse Bedeutung erlangt haben. Jedenfalls weisen unsere syrischen Texte auf eine noch spätere Zeit,

nämlich auf das 9.Jahrhundert hin. Nur ein Buchfragment unter den christlichen Handschriften, der in mittelpersischer Sprache mit den Lettern der Pehlevi-Münzschritt geschriebene Psalter,n gehört einer froheren Zeit, nämlich dem 5. Jahrhundert an. Er wurde zusammen mit den soghdischen und syrischen Handschriften christlichen Inhalts in der Ruine von Schüi-Pang bei Bulayiy gefunden.

Von weil größerer Bedeutung war der Manichäismus.6 Die Zeit der ersten Verbreitung auch dieser Religion in Turkistan ist unsicher, es ist aber wohl möglich, daß Mani selbst Ost-

Turkistan besucht hat, und wir hegen keinen Zweifel, daß nach seinem Tode einzelne Manichäer sich dort niedergelassen und für den Glauben gewirkt haben mögen. Einfluß gewannen sie aber erst im B. Jahrhundert, als der Chagan der Uiguren, in deren Besitz Chotscho damals gewesen zu sein scheint, sich zur Lehre des Mani bekehrte.

Die Uigurcn waren ein türkisches Volk, das der Sprache nach den Osmanen näher alsden Altei-Türken verwandt war. Wir wissen nicht, zu welcher Zeit sie sich der Stadt Chotscho

zu einer anderen Rasse, die vielleicht durch künstliches Färben des Haares sich soweit als mdglich äußerlich der rothaarigen Herrscherschicht anzupassen suchte. Da die Bilder aus Kutscht aber älter sind als die aus Turfan, ist, falls nicht der Stil ant solche Details verziehtete, hier noch vieles ritselhaft.

Es muß auffallen, dab der uns durch die türkischen Laute "Chotscho" überlieferte Stadtname, der chinesisch durch .Kiü•schi, Ku•schi" wiedergegeben wird, dem chinesischen Namen der Stadt Kutscht I,Kiu•ts'9, K'iu•tsg"), deren alte Bezeichnung in den anderen alien Sprachen wir noch nicht kennen, nicht unähnlich Ist (CHAVANNES, loe. cit. S. 114); die Verschiedenheit in den chinesischen Namen gebt vielleicht auf das Bestehen der zwei Dialekte zurück.

Auch der chinesische Name Turfans .Kso•c eng", der u. E. der Stadt Chotscho gebührt, ist vielleicht nur ein Versuch, den sites Namen chinesisch wiederzugeben.

Ob man die bei FLOG. (Mani S. 387,88) und bel MARQUART (Mister. Glossen S. 180) erwähnte Nachricht

Mai üdis, daß die Hauptstadt der Toyunyuz .KwiOn" r(...2y   genannt wurde, hier heranziehen dart, lassen wir
dahingestellt; sie entstammt einer spites Zeit. Jedenfalls babes die Namen Chotscho, Kutscht' Kao•c'ang ete. untereinender eine gewisse Ahnlichkeit, die möglicherweise nicht nur xufsllig ist.

Wir können uns nicht versagen, hier zu erwähnen, daß unserer Ansicht nach die Yüe-tscbi In vorchristlicher Zeit aus irgend einem Teil Europas (Süd•Rußland?) nach China vorgedrungen sind. Es ergibt sich aus dieser Ansicht die Frage, ob etwa die Kurgene Sibiriens, speziell der Gegend von Minussinsk, mit den Yüe•tschi in Verbindung gebncbt werden dürfen.

z Wir hegen die Oberzeugung, daß die Chinesen die verschiedenen kunstvollen Techniken der Weberei, Wirkerei Stickerei und Firberci über Turkistan von Inniern und Indern erhalten haben.

a Die Herren STEIN und PELLIOT haben in der Klosterbibliothek von Tun-hwang so wenige türkische, dafür so viele soghdische Manuskripte erwerben können, daß man den Eindruck gewinnt, daß noch in der späten Zeit. in der jene Bibliothek vermauen worden ist, viele Soghdier in jener Gegend gelebt haben müssen. Sehr verstärkt wird dieser Eindruck durch F. W. K. MCLLER's Feststellung, daß die Steininschrift von Kara Balgassun nicht in K8k•Türkisch, Chinesisch und Uigurisch, sonders in Kök-Türkisch, Chinesisch und Soghdisch verfaßt ist. (cf. F. W. K. St C t.t.ER, Ein iranisches Sprachdenkmal aus der nördlichenMongolei. Sitzher. d. Kgl. Preuß. Ak. d. W iss. 1909 XXVII). Tocharische Handschriften sind stets nur in indischer Schrift verfaßt; in soghdischer Schrift geschrieben finden sich neben zahlreichen soghdischen Texten buddhistischen und manichiischen Inhalts auch Reste von türkischen Handschriften. Selbst Chinesisch wird bin und wieder in sogbdischen Charakteren wiedergegeben. Für die erates Nachrichten über die sogbdischen Funde vergl. F. W. K. MÜLLER, Neutestamentliche Bruchstücke in soghdischer Sprache, Sitzher. d. K. Pr. Akad. d. Wiss. 1907, XIII.

s F. C. ANURLAs, Brechstücke einer Pehlewi•Oberse&serag der Psalmen aus der Sassanidenzeit, Sitzher. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wise., 1910 XLI.

6 Für die Feststellung vergl. F. W. K. ML'LLER. Handschriften-Reste I, 1904, Sitzber. d. K. Preuß. Aked.d. Wiss. 1904, IX S. 351 und DERSELBE, Handschriften 11, Ash. z. d. Abts. d. K. P. Akad. d. Wiss., 1904, S. 9.