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0075 Indische Palaste und Wohnhauser : vol.1
Indische Palaste und Wohnhauser : vol.1 / Page 75 (Grayscale High Resolution Image)

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doi: 10.20676/00000274
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6. Radschputenschlösser des 17. und 18. Jahrhunderts.

Die Vereinigung der meisten Länder Indiens unter der Herrschaft der Großmoguln hatte im 17. Jahrhundert etwas zur Folge, das seine Parallele in ungleich größerem Ausmaße in den Jahrhunderten des abbasidischen Kalifats hat: die Hofkunst, die sich aus dem Zusammenströmen künstlerischer Kräfte aus allen Teilen des Reiches durch Mischung und Auslese gebildet hat, wird Reichskunst, strömt aus den Hauptstädten zurück in die Provinz. Vorher war es dem Radschputenradscha oder dem islamischen Machthaber gleichgültig gewesen, wie man am Hof des Sultans in Delhi baute. Seit der Einheitsstaat da ist, seit Radschputenfürsten die kaiserlichen Heere führen, gegen die sie früher gekämpft, sieht man auch in Kunstdingen nach Delhi und Agra. Freilich hatten nur die, die als Soldaten oder hohe Reichsbamte am Kaiserhof gelebt hatten, den Wunsch, den Wohnluxus und damit die Bauweise der Residenz in ihre Heimat zu verpflanzen. Nur wenige hatten auch die Mittel, sich Gartenpaläste aus weißem Marmor zu bauen, oder die Möglichkeit zum unbesorgten Wohnen im weitgedehnten Schloß. Denn waren auch die innerpolitischen Zustände im Einheitsreich Schah Dschehans ruhiger geworden als in den wilden Jahrhunderten vorher, und hatte man es auch nicht nötig. tiiglich und stündlich vor dem Angriff des Nachbars and der Hut zu sein und sein Leben hinter dem dicken Panzer der Burg auf unzugänglicher Felsklippe zu verbringen, verteidigungsfähig mußte das Haus des Radscha und des Thakor doch sein. Dazu kam die Gewohnheit, die im Bauwesen und zumal im Wohnbau so überaus stark mitspricht. Man war es gewöhnt, im hochaufgetürmten, vielstöckigen Haus zu leben mit zurückgestuften Terrassenhöfchen und engen, kleinen Zimmern. Der weit in der Fläche hingedehnte Wohnbau, dessen Teile aus Gärten m_nd Höfen in der Ebene aneinandergereiht sind, entsprach der Nomadenart der Landesherren und ihrer türkischen Gefolgsmannen. Das Radschputenschloß bleibt also ein hohes Stufenhaus, das über einem Gürtel von Wehrbauten aufsteigt, und im Grunde ändert sich wenig mehr als die Formen, die sich nun allgemein über Nordindien verbreiten und den Bauten ihr charakteristisches Aussehen geben, Zackenbogen, Zwölfkant- und Balustersäule, Bangaldar und anderes mehr. Sie ersetzen das Alte und wandeln sich überall unter den Händen der Steinmetzen, in jeder (legend anders, etwa so wie sich die Formen der Renaissance in Deutschland wandelten, verlieren von der vornehmen Eleganz und Klarheit, zu der sie an Schah Dschehans Bauten gekommen waren, werden derber und plastischer oder dünner, magerer und werden auch in anderem Sinne verwendet. Nahezu jedes Schloß, jedes Bürgerhaus bis nach Kabul hinauf und in den Dekhan hinunter hat seine Höfe mit umlaufenden Zackenbogenarkaden, seine Türen, Fenster und Erker von verzwergten Bangaldars überdacht und seine Balustersäulen. Die alten Formen sind wie ausgelöscht. Nirgends finden fich nun noch Formen, wie sie in Gwalior und Fathpur-Sikri vorkommen, wie etwa die prachtvollen Deckengesimse, an deren Stelle die immer wiederkehrende und auch die Stützkonsolen des Tschhadscha oft ersetzende Hohlkehle tritt. Oberhaupt hört der Formenreichtum in der Deckenbildung und damit die Vielseitigkeit in der Raumgestaltung auf. Flachdecken auf umlaufenden Hohlkehlen und Kuppeln Tiber persischen Zellenzwickeln gehen nebeneinander her,

Dagegen wird die Außenerscheinung der Bauten reicher, der Umriß bewegter, wozu namentlich die gekurvten Ricken der Bangaldars beitragen, die sich oft in ganzen Gruppen hintereinander aufbuckeln, von einer Reihe von Kalasas bekrönt und an den Enden häufig von Kuppeln flankiert. Außerordentlich reizvolle Lösungen findet der radschputische Architekt in der Gestaltung der Portale, deren Kern stets die persische Bogennische ist, häufig flankiert von genischten Wandstreifen, aus denen Dschharokas vortreten, darüber der Tschhadscha oder ein umlaufender Balkon, oben offene Galerien und als Bekrönung meist ein Bangaldar (Tafel 81, 97, 98, 102, 109, 139). Vergitterte Galerien (Gauk), die außen oft mehrfach übereinander die Baukörper umgürten, bilden ein stark wirksames Mittel zur Unterstreichung des Stockwerkbaus, an der es dem indischen Architekten immer gelegen ist. Eine ganz andere Rolle spielen auch die Dschharokas, die man in Reihen nebeneinander stellt (Tafel 95, 124-126) oder zu Gruppen zusammenfaßt. Eines der bekanntesten und seltsamsten Beispiele für eine solche Dschharokafassade ist der Hawa Mahal des Palastes in Dschaipur (Tafel 141).

Wie man vor dem Einströmen dieser Formenwelt, das um, die Mitte des 17. Jahrhunderts einsetzt, abseits vom Wege baute, zeigen die Paläste in Urtschha und Dattia, die sich der Bundelafürst Bir Singh Dewa um 1610 erbauen ließ, beides Bauten von mächtiger Geschlossenheit, voll des zurückhaltenden Stolzes, der Tschitors Schlösser auszeichnet. Der Palast in D a t t i a zumal ist unbestritten eine der eigenartigsten Erscheinungen in der indischen Palastarchitektur. Als steinerner Würfel, an den Ecken und in den Achsen von Kuppeln bekrönt, aus deren Kranz in der Mitte eine neunte höhere Kuppel herauswächst, steht der Bau, von niederen achteckigen Bastionen an den Ecken gestützt, auf einem Felshügel (Tafel 105 oben). Graue Festungswerke umgürten den Fuß, und den Hang hinab steigt die kleine Stadt mit ihren sauberen Häuschen und Weißgetünchten Tempelsikaras. Vignolas Caprarola fällt einem unwillkürlich ein, wenn man nach etwas Vergleichbarem sucht. Die Westfront, vor die sich eine bastionierte Plattform legt, spiegelt sich in einem kleinen See (Tafel 105 unten).

Planbildung und Aufbau sind in mehr als einer Hinsicht lehrreich für die Besonderheit indischen Wohnbaus (Tafel 106). Der Grundriß bildet ein Quadrat von etwa 60 m Seitenlänge. Auf mehreren überwölbten, zum Teil als Serdab benutzbaren Geschossen, durch die von Norden und Westen in den Achsen der Eingang erfolgt, baut sich der Wohnbau in zweibündigen, den quadratischen Binnenhof umschließenden l'liigeln in strenger vierseitig symmetrischer Durchbildung auf (Tafel 106). In der Hofmitte erhebt sich, die vier Flügel um ein, weiteres Geschoß überragend, ein quadratischer Turm. Der Hof wird also zum Ringhof, in dessen Mitte der Hauptbau steht, wie bei Akbars Palast in Adschmir (s. Tafel 26). In Dattia wird er aber durch Brücken, die in den Hauptachsen den Mittelbau und die Flügel verbinden, in vier L-förmige Teile zerlegt. Diese Brücken vermitteln den Verkehr in drei Geschossen, im Hofgeschoß — dem zweiten, wenn man das unter dem Hof liegende Eingangsstockwerk als das erste ansieht -- als dreijochige Bogengänge, im nächsten Stockwerk als Säulenballen und darüber als offene Gänge (Tafel 107).