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0093 Indische Palaste und Wohnhauser : vol.1
Indische Palaste und Wohnhauser : vol.1 / Page 93 (Grayscale High Resolution Image)

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doi: 10.20676/00000274
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die Tschait.ialialle längst zur bekrönenden Spitze der Gopurampyramide zusammengeschrumpft. Wer sagt aber, daß Tirumal Naiks Audienzhalle die einzige ihrer Art war? Was weiß man vom Palastbau Südindiens im Mittelalter? Daß die Raumform des tonnengedeckten Langhauses im Wohnbau nicht ausgestorben war, beweist ja ihr Vorkommen in Fathpur Sikri.

Die Formen, in denen der heute als Gerichts- und Verwaltungsgebäude dienende Palast sich zeigt, sind, wie gesagt, größtenteils Erzeugnisse der Phantasie eines Restaurators, der sich in den Tirumalstil vertieft hat. Immerhin mag der ursprüngliche Eindruck ähnlich gewesen sein (Tafel 163). fir die Hallen um den Hof A sind die Zacken-bogen maßgebend, die sich kreuzweise iiber die Säulen

spannen. Das untere Bild auf Tafel 162 vergegenwärtigt die Wirkung, die der der Hallenräume Schah Dschehans verwandt ist, wenngleich man den anmutigen Fluß der Bewegung vermißt, der diesen ganz allein eigen ist. Die Säulen sind sicher in ihrer allgemeinen Form mit der jonischen Basis, dem dorisierenden Kapitell und seinem Abakus europäisch beeinflußt. Seit 1606 arbeitete eine jesuitische Mission in Madura, und es heißt, der König, der sie zum Ärger der Brahmanen zu sehr begünstigt habe, sei von diesen deshalb beseitigt worden. Runde Säulen kennt aber auch die indische Formenlehre — das Brhat Sanhita führt sie auf und in Gwalior kommen sie vor — und die Schüsselform des Echinus entspricht vollständig dem drawidischen Idaje oder Phalaka.

9. Wohnhäuser aus Padschputana, Gudscherat und dem Pendschab.

Wollte ein Ausländer, der ein oder zwei Miethäuser in Berlin kennen gelernt und aufgenommen hat, ein anderes in Dresden und ein viertes und fünftes in Stuttgart, eine Villa in Karlsruhe endlich, sich vermessen, auf dieser Grundlage etwas Erschöpfendes über das deutsche Haus zu schreiben, so würde man ihn mit Recht der Leichtfertigkeit zeihen. In dieser Lage befinde ich mich. Ich habe die nicht immer leicht zu erlangende Gelegenheit gehabt, in verschiedenen Städten Nordindiens — Bharat-pur, Dschaipur, Dschodhpur, Dattia, Lahor und Ahmedabad eine Anzahl von bewohnten Häusern zu sehen und einige wenige aufzumessen. Daß das nicht ausreicht, um sagen zu können: Das indische Haus von heutzutage sieht so und so aus! liegt auf der Hand. Es sind Zufallswerte, die man so erhält und die man nicht zur Grundlage einer allgemeinen Betrachtung machen darf, zumal nicht in Indien, wo nicht nur die Verschiedenheit von Landschaft, Stammes-art der Bewohner, ihrer Berufsgliederung, Vermögenslage und anderer Dinge wie anderswo eine Vielheit der Hausformen bedingt, sondern auch die religiöse Zerspaltung für deren Mannigfaltigkeit in hohem Grade mitspricht.

Inwiefern die Religionsangehörigkeit eines Menschen auf die Gestalt und Anlage seines Wohnhauses Einfluß haben soll, ist dein heutigen Europäer schwer verständlich. Er sollte sich aber daran erinnern, daß bei uns im Mittelalter diese Dinge auch mitspielten, daß man z. B. ein altes Judenhaus in Nauheim und anderwärts an gewissen Einrichtungen— wie Bädern für rituelle Waschungen — als solches ohne weiteres erkennen kann. Das Leben des Inders ist aber in einem Maße mit religiösen Pflichten und Regeln durchsetzt, von dessen Umfang man sich erst eine Vorstellung machen kann, wenn man einmal versucht, alle rituellen Handlungen, die er je nach seinem Glauben und seiner Kaste am Tage verrichten muß, aufzuzählen. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen ist jede Tätigkeit, auch die unbedeutendste, irgendwie mit einem Ritual verknüpft, und dementsprechend muß das Haus eingerichtet sein. So gibt es, um nur ein Beispiel zu nennen, unter den höheren Kasten in manchen Gegenden Indiens solche, deren Frauen nach jeder Verrichtung eines körperlichen Bedürfnisses ein Bad nehmen, d. h. sich unter Umständen viele Male am Tage mit kaltem Wasser iibergießen müssen. Daß diese iibertriebene Hygiene längst keine solche mehr ist und zu Erkrankungen, vor allem zur Ausbreitung der Tuberkulose führt, sei nur nebenbei bemerkt. Es ist aber klar, daß im Senana eines vornehmen Mannes diese Badegelegenheit entsprechend der Zahl der Frauen mehrfach vorhanden sein muß. Aber ganz abgesehen von solchen Dingen muß das Haus selbst nach

rituellen Vorschriften gebaut werden, um überhaupt bewohnbar zu sein, Vorschriften, die in ihrer jetzigen Fassung auf die praktische Brauchbarkeit nicht die geringste Rücksicht nehmen, obwohl sie ursprünglich — wenigstens zum Teil — aus praktischen Erfordernissen entstanden sind. Nach dem Glauben des Inders bringt ein Haus, dessen Lage, Planbildung und Bauart nicht mit diesen Vorschriften übereinstimmt, seinem Bewohner Unglück, Krankheit, Tod, Mißernte, Untreue der Frau, Kinderlosigkeit und anderes mehr, und es gibt in der Tat vielerorts eine besondere Klasse von „Hausärzten", die nicht die Bewohner, sondern deren Häuser kurieren, d. h. ein vom Unglück verfolgtes Haus auf seine Fehler hin untersuchen und Vorschläge zu deren Behebung machen, wenn sie nicht einfach erklären, es sei unheilbar, deshalb unbewohnbar und müsse verlassen werden. Diese rituellen Bauregeln, von denen bereits oben die Rede war 1), sind aber nicht durch ganz Indien dieselben. Ein Dschaina in Dschaipur hat ganz andere zu befolgen wie ein tamulischer Brahmane in Madura, wenn sie auch zumeist auf dieselben Grundlagen zurückgehen. So darf z. B. in manchen Gegenden Hindustans die Haustür nicht auf der Südseite liegen, weil im Süden das Reich des Todes ist, dem so Tür und Tor geöffnet wäre. Der Architekt muß also beim Planen des Hauses darauf Rücksicht nehmen und wird zu Verschiebungen genötigt, die mit der zwecklichen und künstlerischen Durchbildung des Hauses im Widerspruch stehen können. Wiederum verlangen die Regeln in manchen liegenden, daß die Küche auf der Südseite des Hauses liegen müsse und von keinem anderen Teil überhöht oder etwa durch ein Stockwerk überbaut werden dürfe. Es hängt das wohl damit zusammen, daß die Küche wie im

primitiven Einraumhaus dann gleichzeitig Speisezimmer und vor allen Kultraum für die Hausgötter ist. Dazu

kommt, daß die Wastu Sastra oder Silpa Sastra, die

Bücher, die sich mit dem Hausbau befassen, auch starke Unterschiede zwischen den Häusern der verschiedenen

Kasten machen. Stand ist in Indien nicht Sache des Ver-

mögens, sondern der Kaste, und ein Sudra darf sich, und sci er noch so reich, sein Haus nicht nach den für eine der

höheren Kasten geltenden Regeln bauen, Regeln, die sich im Mariasara bis auf die zulässigen Proportionen der Säulen und anderer Bauglieder erstrecken.

Um einen Begriff von der Art dieser religiösen Bauvorschriften zu geben, bringe ich die des Brhat Sanhita,

soweit sie sich auf den Wohnhausbau beziehen, im Auszug. Leider fehlt bisher eine zusammenfassende Untersuchung

1) S. S. 17.

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