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0103 Indische Palaste und Wohnhauser : vol.1
Indische Palaste und Wohnhauser : vol.1 / Page 103 (Grayscale High Resolution Image)

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doi: 10.20676/00000274
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nicht, so sehr man auch mit dem Beharrungswillen in der Entwicklung der Kunst rechnen muß.

Die Silpa Sastra geben keine Antwort auf die Frage nach Ursprung und Sinn der Stufenpyramide. Im Manasara, das dem Tempelbau einen breiten Raum widmet, werden nur Regeln dafür gegeben, wie sich die Stockwerke eines drawidischen Gopuram oder Wimanam nach oben verjüngen müssen.

Als erster hat, soviel ich weiß, Kennedy den Gedanken ausgesprochen, ein südindischer Tempelturm solle nichts mehr oder weniger bedeuten als den Weltberg, den Meru'). Der Inder stellt sich bekanntlich die Welt als Berg vor, den die vier bewohnbaren Erdteile in den vier Hauptrichtungen umlagern. An den Hängen des Meruberges wohnen auf übereinander ansteigenden Terrassen die Dämonen, Halbgötter und Götter, und auf seinem Gipfel liegt der Himmel der dreiundreißig Dewas mit der Götterstadt, die in alten buddhistischen Büchern Sudarsana heißt, die „aussichtsreiche", und in deren Mitte sich des Götterkönigs Palast erhebt. Das, meint Kennedy, solle die Gopurampyramide vor Augen stellen.

Der Gedanke, den Weltenbau mit den Mitteln der Baukunst wiederzugeben, ist über alles kühn und erhaben. Man spricht in unserer Zeit so viel vom Kosmischen in der Kunst und meint damit irgendwelche geheimnisvollen Beziehungen zwischen Welt und Kunstwerk. Die indische Tempelbaukunst ist in der Tat im eigentlichsten Sinne kosmisch — aber ganz unbefangen. Sie baut den Weltberg, besetzt seine Terrassen mit den Häusern der Götter

— d a s sind die Pantscharam und keine Mönchszellen —, bevölkert sie mit Apsarasas, Gandharwas und anderen himmlischen Wesen und stellt zu oberst Schiwas oder Wischnus Palast, eben des Gottes, dessen Bild oder Symbol in der kleinen dunklen Cella im Sockel des Tempels verehrt wird.

Den Weltberggedanken hat der Inder nicht allein. Er teilt ihn mit vielen anderen Völkern. Aber die Vorstellung vom Kosmos als einer Reihe übereinander aufsteigender Terrassen, zu unterst der der Sterblichen, dann der der Dämonen und Halbgötter, weiter der der sechs Dewalokas, über denen sich dann noch die meditativen Stufen erheben, sicher, wie Grünwedel sagt, eine der großartigsten Ideen, die der Buddhismus hervorgebracht und dem Brahmanismus als Erbe hinterlassen hat 2), ist ihm ganz besonders eigen. Nach Grünwedels Meinung soll dieses buddhistische Weltbild, das sich weit über die Grenzen Indiens hinaus in Tibet, China und Japan Geltung verschafft hat, seinen Ursprung nehmen von den Städtedarstellungen der vorderasiatischen Kunst, die der Lehre Gautamas auch vielerlei andere Dinge, wie z. B. die mischgestaltigen Fabelwesen

übermittelt hat 3). Daß dieses letztere richtig ist, läßt sich wohl nicht leugnen. Mir will es indessen nicht in den Sinn, daß ein so beherrschender Gedanke, wie die Vorstellung von den übereinand;ergetürmten Terrassen des Weltenbaues von einer eigentlich so belanglosen Sache, wie es die Städtebilder assyrischer Reliefs sind, ihren Ausgang genommen haben könnte. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob es nicht im architektonischen Denken des

Inders begründet war, daß er sich die ihn umgehende Welt als Stufenbau vorstellen mußte. Andere Völker sind bei der Schaffung ihres Weltbildes auch von dem ausgegangen, was sie selbst bauten, von ihrem Haus. Wir sprechen vom Himmelszelt oder Himmelsgewölbe und geben damit einer uralten Vorstellung Ausdruck, die darin ihren Grund hat, daß unsere Kultur vom Haus in erster Linie den umschlossenen Raum verlangt. Der Inder, dem der Aufenthalt a u f seinem Hause mindestens ebenso sehr zum Wohnen nötig erscheint wie das Verweilen i n diesem, ging, wie ich meine, von der äußeren, körperlichen Erscheinung seines Hauses aus und gab so seinem Weltberg Meru die Gestalt eines vielstöckigen Stufenpalastes, auf dessen oberstem, vornehmstem Geschoß die höchsten Götter wohnen. Dieser Zusammenhang zwischen ererbtem architektonischen Denken und Weltbild gibt meines Erachtens überhaupt erst den Schlüssel zum Verständnis der Sakralbaukunst der Inder, die nicht Räume schafft sondern Körper. So ist Fergusson wohl im Recht, wenn er im Rath des Dharmaradscha die Nachbildung eines buddhistischen Wihara sieht, weil eben dieses Wihara ein Wohnbau ist, der sich von anderen Wohnbauten im Wesen nicht unterscheidet. Unmittelbare Nachbildungen von Häusern oder Palästen sind die Raths und später die Gopuram- und Wimanampyramiden aber nicht. Der Wohnbau spielt bei ihrer Gestaltung wohl eine Rolle, aber auf einem Umwege, indem er erst den Anlaß dazu gab, daß sich der Mensch den Weltenbau als Stufenhaus vorstellte, der dann wieder mit den Mitteln der Baukunst zur Darstellung gebracht wurde. Geht man aus den Drawidaländern nach Norden, nach Maissur und weiter nach Hindustan, so ist der Stockwerks-bau der hier anders gestalteten Tempeltürme allerdings weniger sinnfällig, wenn nicht das Giebelornament, das als Flachmuster viele nordindische Sikaras überzieht, auch hier den Zusammenhang klarstellt und zeigt, daß diese ebenfalls den Weltberg mit seinen Geschossen symbolisieren sollen wie fast alle Sakralbauten der außerindischen buddhistischen Welt, heißen sie Stupa, Phrachedi in Siam, Tschorten in Tibet oder T'ap in China.

Beim Planen seines Hauses, seiner Stadt muß der Inder die Regeln der Silpa Sastra beobachten, die dafür gewisse Planschemata vorschreiben. Auch dadurch will er mit seinem Werk in eine Beziehung zum Kosmos treten, will das Weltbild wiedergeben, weil er glaubt, daß das Leben auf einem so der Weltordnung angepaßten Stück Erde, das dadurch überhaupt erst zum „Wastu", zum „Bewohnbaren" wird, glücklich und ersprießlich sei. Auch dem persischen Vierungsgarten, dem Tschar Bagh, liegt letzten Endes das alte indische Weltbild zugrunde, mag

er auch erst mit den Moguln nach Indien gekommen sein 1). Die sichtbare Welt kann nun keinem Menschen jemals

viereckig erschienen sein, und niemand hat am Himmel die

einundachtzig Quadratfelder des Paramasaika, des indischen Templum, je gesehen. So liegt auch hier die

Sache wiederum zweifellos so, daß der Mensch das ge-

wohnte Bild eines vierseitig symmetrischen Haus- oder Stadtplanes dem Plan des Weltganzen zugrunde legte, als

er daran ging, die Dinge der ihn umgebenden sichtbaren

und unsichtbaren Welt zu ordnen. Auch das Planbild der Welt mit den vier Kontinenten, die achsial geordnet um

den Meru in der Mitte liegen, mit den sieben Ringgebirgen,

entspringt wie die Vorstellung vom Terrassenaufbau des Weltberges der Ordnung, die der Mensch seinem eigenen

Bau zu geben gewohnt war aus dem ihm eigenen Empfinden für das Schöne und Zweckmäßige. Am Anfang steht das Kleine, Menschliche, Irdische — das indische Wohnhaus.

1) S. auch La Roche, Indische Baukunst V, S. 218.

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  1. (a. a. O. S. 286). Daß der buddhistische Stupa mit seinem bekrönenden Stockwerkschirm, dem Ti oder Hti (birmanisch), das Symbol der Welt mit ihren übereinander aufsteigenden Stufen sei, hat Hodgson zuerst auf Grund seiner Forschungen iru Nepal ausgesprochen (Sketch of Buddhism. Transactions of the R. Asiatic Society of Great Britain. Vol. II. P. I. S. 233), ferner Koeppen, Die lamaische Hierarchie und Kirche, S. 261, vgl. auch Foy, Indische Kultbauten als Symbole des Götterbergs. Festschrift zu Ernst Windischs 70. Geburtstag. Leipzig 1914.

  2. Buddhistische Kunst in Indien. 2. Auflage. 1920. S. 61.

  3. Ebenda S. 59.