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0102 Indische Palaste und Wohnhauser : vol.1
Indische Palaste und Wohnhauser : vol.1 / Page 102 (Grayscale High Resolution Image)

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doi: 10.20676/00000274
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durch Schulen, in denen sie ihrem eigensten Wesen entfremdet werden, sie ergreifen Berufe,indische

heute

Leben früher nicht kannte. Der gebildete Inder von

kauft sich europäische Möbel — die nicht in sein altes Haus passen — und die indische Wohnbaukunst geht daran zugrunde.

10. Haus, Tempel und Weltbild.

Delhier Nekare Chane nachgebildeten Prunktor (Tafel 174). Die Martinière ist in der Tat ein rechtmäßiger Nachfahre der Raths zu Mahawellipur — oder vielmehr von deren Vorbildern.

Da erhebt sich nun eine Frage: Welcher Art waren die Vorbilder der Raths des Dharmaradscha und des Bhima, die selbst ja keine benutzbaren Bauten sind, sondern nur aus riesigen Granitblöcken herausgemeißelte Nachbildungen, gewissermaßen Modelle? Daß von ihnen eine lange Kette ausgeht, deren Glieder in den vielen Stufentürme südindischer Tempelzellen und -tore dastehen, ist eine längst erkannte Tatsache. Diese Tempeltürme haben von jeher dazu herausgefordert, ihrem Ursprung und ihrer Bedeutung nachzugehen. Eine Herleitung aus dem babylonischen Tempelturm, wie sie von Kennedy versucht wird i), oder dem ägyptischen Pylon mit seinen geböschten Wänden, wie sie von anderen verfochten wird 2), geht gleicherweise in die Irre. Die Ähnlichkeit mit dem Pylon besteht nur im allgemeinen Umriß und ist überdies außerordentlich gering. Die Zikurat ist für uns trotz aller Forschungsarbeit der letzten Jahre noch eine recht unbekannte Größe. Aber mag sie auch eine Stufenpyramide gewesen sein, was die berühmteste, die in Babylon, sicher nicht war, so hängen die drawidischen Tempeltürme doch keinesfalls mit ihr zusammen. Deren Keime liegen in Indien selbst.

Fergusson ist auf der richtigen Fährte, wenn er die Raths von Mahawellipur und ihre zahllosen Nachkommen, die Stufenwimanams und -Gopurams der drawidischen Tempel mit dem altbuddhistischen Kloster zusammenbringt "), das er sich, wie gesagt, als Stufenbau vorstellt. Er geht sogar so weit, daß er das Rath des Dharmaradscha als unmittelbare Nachbildung eines Klosters nimmt, die kleinen, die Stockwerksumgänge brüstungsartig umstehenden Häuschen, die Pantscharam, wie sie der heutige tamulische Baumeister nennt, als Mönchszellen bezeichnet und einen Beweis für die Richtigkeit seiner Ansicht darin sieht, daß gerade das Lager ffir einen Mönch in einer solchen Hütte Platz finde. In jedem Geschoß sucht er einen mittleren Säulensaal, der den Mönchen zu ihren Versammlungen gedient habe. Auf der Pyramide steht als oberstes Stockwerk ganz augenscheinlich und unverkennbar die Tschaitjahalle — als Achteckbau entsprechend dem Rundtschaitja in Guntupalle oder in der normalen Form als tonnengedecktes Langhaus.

Man darf sich wohl fragen. was die drawidischen Architekten oder ihre Auftraggeber, die brahmanische Kirche veranlaßt haben möchte, ihre Tempel als Modelle eines buddhistischen Klosters aufzuführen? Sollte sich der Baugedanke des vielstöckigen Stufenwihara, wie ihn Fergusson rekonstruiert, in der buddhistischen Zeit so festgesetzt haben, daß die Südinder auch nach dem Erlöschen des Buddhismus durch alle späteren Generationen diese Form gewohnheitsmäßig, um nicht zu sagen gedankenlos, auf ihre Tempelzellen türmten? Wahrscheinlich ist das

Warum das indische Haus seit alters her vielstöckig ist, habe ich darzulegen versucht. Nicht ökonomische Gründe waren es, die den Inder den Gedanken des Hochhauses vorwegnehmen ließen. Ihm galt und gilt das Wohnen im hochgebauten, vielstöckigen Haus als Annehmlichkeit, als Vorzug, den er nur dem vornehmen Mann zugesteht. Damit hängt es offenbar aufs engste zusammen, daß der Stockwerksbau der indischen Architektur zum leitenden Prinzip geworden ist. Das Übereinander der Geschosse wurde dem Inder zum Angelpunkt des architektonischen Denkens. Wenn er einem Baukörper Form und Rhythmus geben will, so teilt er ihn in Stockwerke auf. Untersucht man etwa die überreiche Profilierung der Mihrabvorlage oder des Minaretsockels einer gudscheratischen Moschee, so findet man, daß da Geschoß über Geschoß angedeutet ist; immer wieder folgen sich Sockel, Schaftstück und Hauptgesims. Verzwergte Dschharokas treten aus den Scheinstockwerken vor — es kann kein Zweifel sein, daß der Architekt diesen Gebäudeteilen die Gestalt von vielstöckigen Bauten im kleinen geben wollte, einfach, weil ihm die Gliederung in Geschosse geläufig war. An einem islamischen Sakralbau hat das sicherlich keine symbolische Bedeutung. Die Geschoßgliederung ist hier nichts anderes als ein künstlerisches Mittel, dasselbe, das der Architekt des Man Mandir von Gwalior anwandte, wenn er die Schmuckstreifen seiner Fassade „ geschoßweise" übereinanderlegte. Horizontale Streifung und Furchung kennzeichnet eine Unzahl indischer Säulen, stellt sie in Gegensatz zu allem, was die Menschheit sonst an architektonischen Stützen gestaltet hat. Ich glaube, daß auch da das Denken in Stockwerken letzten Endes zugrunde liegt. In der Tat gibt es Säulen oder Pfeiler, die ganz bewußt als vielstöckige Miniaturtürme gestaltet sind. Der Urgrund dieses Stockwerksprinzips, das schon im zweiten vorchristlichen Jahrhundert die Felsfassaden der buddhistischen Höhlenkirchen und -klöster beherrscht (Tafel 1), kann meines Erachtens nur im alten indischen Wohnbau, in der Wertschätzung des vielgeschossigen Hauses und Palastes gesucht werden.

Das Stockwerksprinzip ist es, wie man gesehen hat,

indessen nicht allein, das das indische Wohnhaus kennzeichnet. Mit ihm verbunden und durch es bedingt ist seit der Zeit, in der es uns zuerst entgegentritt, bis heutigen Tages der Stufenbau. Dazu führte das Wohnbedürfnis des Inders, der auch beim vielgeschossigen Haus auf den Hof nicht verzichten will, weil er ihm zu gewissen Stunden den angenehmsten Aufenthalt gewährt. Man muß die oberen Stockwerke gegen die unteren zurücktreppen, um die gewünschten Hofflächen zu erhalten. Vielstöckige Stufenbauten sind die altindischen Häuser auf den Reliefs von Santschi, wie es die Paläste in Tschitorgarh sind, das Schloß in Dattia und die radschputischen Wohnhäuser. Der sonderbare Bau, den der Franzose Claude Martin in Laklinau erbauen ließ (Tafel 176), und der den Namen dieses talentvollen Soldaten und Abenteurers verewigt, ist ebenso ein echt indisches Stufenhaus, wie die meisten iibrigen Bauten aus den Tagen der letzten Nawabs von Audh (Tafel 176 unten), die trotz ihrer korinthischen Säulen und Renaissancegesimse indischer sind als die Palazzofront der Imambara-Moschee mit ihrem dem

1) Kennedy, The early commerce of Babylonia with India. Journal of the R. Asiatic Society, 1898. S. 285.

~) De Beylié, L'Architecture Hindoue en Extrême-Orient. Paris 1907. S. 33.

3) s. o b e n S. 14 .