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0292 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 292 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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men Utrechter Samt gehen. Hier ist ausnahmsweise ein alter Seidensamt mit gotischem Granatmuster nachträglich mit einem Spätrenaissancemuster bepreßt worden. Die stilistisch nächstverwandten Samtimitationen stammen aus Spanien und tragen teils das spanische, teils das französische Wappen.')

Die Rankenmuster.

Nachdem die italienischen Musterzeichner in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die gotischen Reminiscenzen, von den erwähnten venezianischen Ausnahmen abgesehen, im wesentlichen überwunden hatten, entstanden aus den Oberresten des Granatschemas als neuer Typus die Rankenmuster. Wie es schon einige iJbergangsstoffe (vgl. Abb. 557 und T. 243) ankündigten, beginnen bewegte Pflanzenformen das feste Gefüge der alten Spitz; ovalgliederung zu lockern und zu überwuchern. Einem Zeitgeschmack, der für die männ: liche Tracht neben einfarbigen Stoffen nur noch kleine Muster ohne betonte Grundlinien zuließ, mußten auch in der Frauenkleidung die starken Flächenteilungen des Obergangstils zu schwer und wuchtig erscheinen. So hat der florentiner Spätrenaissancebrokat T. 260 das noch vorhandene Spitzovalnetz durch leichte zierliche Zeichnung und reichliche Beigaben von Blattwerk, Blüten und Früchten gemildert und verkleidet. In den nächsten Beispielen T. 261 (Abb. 565), T. 262, T. 263a, T. 264, sind alle übermächtigen Formen zugunsten eines gleichmäßig leichten Rankenspiels beseitigt. In der fertigen, von der mittelalterlichen Tra: dition gänzlich losgelösten Gestalt wie T. 264 erscheinen die Rankenmuster schon bei Paolo

Veronese (-1-   und seinen Zeitgenossen.2)

Eine großzügige Entfaltung der Rankenmuster wird während der Spätrenaissance durch die zunehmende Verwendung von Seidenstoffen zur Wandbekleidung herbeigeführt. Das Mittelalter hatte seidene Wandbehänge außerhalb der Kirche kaum gebraucht, und auch im Gotteshaus nicht als dauernde Ausstattung, sondern nur als gelegentlichen Fest: schmuck. Ein Bedürfnis nach besonderen Tapetenmustern im Gegensatz zu den Kleider: stoffmustern war daher nie hervorgetreten. Für die Neuzeit war die Seide lange nicht mehr die Kostbarkeit wie früher, sodaß auch die Wohnräume des Palastes sich ihrer als fester Wandbespannung bedienen konnten. Um 1600 war der Bedarf schon so beträchtlich, daß die Muster dem neuen Zweck sich anpaßten. Die aufsteigende Richtung der Ranken wird stärker hervorgehoben und ihr Maßstab wächst, bis der einzelne Rapport die ganze Breite der Stoffbahn ausfüllt (T. 267, 268, 269). Zuweilen nimmt die Zeichnung wie auf T. 269 noch auf den Zusammenhang mit den anschließenden Stoffbahnen Rücksicht; häufiger je, doch bildet der an der Renaissancebaukunst tektonisch geschulte Zeitgeschmack jede Ta, petenbahn wie einen Blendpfeiler mit seitlich abgeschlossenem Rankenornament. Damit war der alte Grundsatz einer Musterung ohne Ende für die Wandstoffe durchbrochen. Die pilastermäßige Wirkung wurde durch die Art der Aufspannung noch verstärkt, indem über die Nähte gelegte Borten die Bahnen voneinander trennten oder indem gemusterte Bahnen in bestimmten Abständen mit ungemusterten abwechselten. Eine so architektonische Glie; derung der Tapetenwand machte wieder als oberen Abschluß, gewissermaßen als Gesims über den Pfeilern, breite Borten nötig, die das Hauptmotiv der Vertikalbahnen in wag; rechter Ordnung wiederholten (T. 270 a b). Es ist begreiflich, daß jetzt, wo die Stoffbahnen in der Innendekoration die Funktion von Blendpfeilern ausüben, zuweilen auch Orna; mente aus dem plastischen Formenschatz in die Weberei eindringen. Trophäenmuster wie T. 271 kommen in mehreren Varianten vors) und aus dem Barock ist das Karyatidenmuster

  1. Kat. Errera nr. 414-416b.

  2. Der scheinbar hierher gehörige Brokat T. 265 ist, wie die charakterlose Zeichnung schon in der Ab- bildung erkennen läßt, eine moderne italienische Arbeit aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das gilt auch für den Brokat mit Baumschlagmuster T. 266.

  3. Vgl. Kat. Errera nr. 319.

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