National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
Digital Archive of Toyo Bunko Rare Books

> > > >
Color New!IIIF Color HighRes Gray HighRes PDF Graphics   Japanese English
0310 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 310 (Color Image)

New!Citation Information

doi: 10.20676/00000240
Citation Format: Chicago | APA | Harvard | IEEE

OCR Text

 

1667 Lyon die Oberhand und von 1668 an ist Italien ganz ausgeschaltet. Den ganzen Bedarf an kostbaren Geweben deckt Lyon und seit 1679 auch die Pariser Fabrik von Charlier, die namentlich Vorhänge und Wandstoffe für das Schloß Versailles zu liefern hat. Nebenher werden leichtere Stoffe aus China und vereinzelt persische Gold samte verwendet. Das Kroninventar beschreibt auch schon Brokatmuster, die eine französische, von Italien unab hängige Stilrichtung einleiten. Für die Lyoner Muster mit flötenden Schäfern und tanzenden Hirtinnen, mit Amo: rettenpaaren und Palmen gibt es in Italien keine Analogien.') Die Ansprüche des Hofes steigerten rasch das technische Vermögen der französischen Weber; Savary erzählt, daß der Pariser Charlier für Versailles einen kostbaren Samt brokat nach einer Zeichnung Berains geliefert habe, von dem ein Arbeiter täglich nur einen Zoll fertigen konnte. Eine Elle davon kam auf mehr als 1000 Livres zu stehen.2)

Der französische Spätbarockstil.

Am Ausgang des 17. Jahrhunderts war Italien über holt; als Ergebnis der nationalen Kunstpflege stellt sich

nun ein rein französischer Seidenstil heraus, der auf den ersten Blick von jedem Zusammenhang mit der Vergangenheit losgelöst erscheint. Sieht man genauer zu, so kann man wohl in den Mustern der Spätzeit Ludwigs XIV (f 1715) Erinnerungen an das Spitzovalschema (Abb. 586, T. 295, 296) oder Anklänge an Granatmotive (T. 297) herausfinden ; aber bald werden die anfänglich noch deutlichen Grundlinien von der Fülle der Einzelheiten überwuchert. Der Gegensatz von Grund und Muster, den die Renais sance so stark hervorgehoben und auch das Barock des 17. Jahrhunderts noch betont hatte, verschwindet nun im neuen Stil unter dem strotzenden Reichtum dichtgedrängter Orna mente. Den Hauptteil der letzteren bilden Pflanzenformen, vorwiegend phantastisch stilisiert, zum kleineren Teil naturähnlich ; niemals aber so naturalistisch, daß man bestimmte botanische Arten erkennen könnte. Die Zeichnung bleibt durchaus flächenmäßig, die Illusion der Plastik durch Schattierung von Blumen oder Früchten wird kaum versucht. Bei den symmetrischen Mustern geben in der Regel große Fruchtbündel oder fächerförmig geordnete Sträuße die Herzstücke ab, die von Spitzenbändern umzogen werden (Abb. 587 u. 588, T. 296 u. 297). Durch die Übernahme der Spitzenornamentik kommt ein völlig neues Element in die Weberei ; und indem die Musterzeichner die Ziernetze der Leinenspitzen nun auch als Füllung von großen Früchten , Blättern und Blüten nachbilden (vgl. Abb. 588 und T. 298), schaffen sie Pflanzenformen von so gesucht naturfremder Stilisierung, wie sie die Seidenweberei bis da hin niemals gekannt hatte. Und diese auf die Spitze getriebene Stilisierung geht unmittelbar dem äußersten Naturalismus der Rokokoweberei voraus. Der Spätbarockstil umfaßt symme trische und einseitige Muster, doch sind die letzteren entschieden in der Minderzahl (Abb. 589, T. 299a). Obwohl die Stoffe nicht bloß zur Innendekoration, sondern unterschiedslos auch für Frauenkleider, Herrenröcke und Kirchengewänder dienten, sind die Muster immer in

  1. Guiffrey, Invent. gen. du Mobilier de la Couronne II S. 186, année 1669 nr. 60: „Deux petittes pièces de très riche brocat de Lion, fonds d'or trait, dont le dessein est un grenadier sur lequel sont deux bergers qui jouent de la flute, et, au pied, deux bergères qui dansent. — Année 1670 nr. 80: Deux pièces de très riche brocat de Lion, fonds d'or trait, à grandes palmes vertes et rinceaux d'or et d'argent, sur lesquels il y a, de distance en distance, deux figures d'Amours.

  2. Dreger, Entwicklung S. 256.

Abb. 585. Seidenstottmuster von Daniel
Marot, nach 1700.

134